Lady Lavinias Liebestraum
in grellen, nicht miteinander harmonierenden Farben gekleidet und dennoch der hoch geschätzte Freund seiner Gastgeberin war, an einige Damen das Wort gerichtet hatte. Wie so oft in diesen Tagen sprach man ausführlich über die jüngsten Ereignisse im Königshaus.
“Mama”, sagte Lavinia in einem günstigen Augenblick, “darf ich dir Lord Edmund Wincote vorstellen?”
Der Gentleman ergriff die Hand der Duchess und führte sie mit einer eleganten Verbeugung zum Kuss an die Lippen. “Ich bin geehrt, Euer Gnaden.”
“Sind Sie der Krönung wegen in der Stadt?”, fragte die Gastgeberin höflich interessiert.
“Ja, auch. Ein Freund von mir wohnt an einer der Straßen, auf denen der Festzug vorüberziehen wird. Er war so überaus freundlich, mich einzuladen. In der Zwischenzeit habe ich in der Mountstreet Quartier bezogen und gedenke, all die fabelhaften Veranstaltungen, die London zu bieten hat, zu besuchen. Zu meiner größten Freude und Überraschung begegnete ich Lady Lavinia und meinem alten Bekannten Lord Corringham gestern im Hydepark. Er war so nett, mich der bezaubernden jungen Dame vorzustellen. Und nun kam ich, um Ihnen meine Aufwartung zu machen – in der Hoffnung, mein Vorhaben erscheint Ihnen nicht als zu anmaßend.”
Lavinia fiel ein Stein vom Herzen, dass er davon abgesehen hatte, die morgendliche Begegnung zu erwähnen.
“Ganz und gar nicht, Mylord”, erklärte die Duchess. “Seien Sie herzlich willkommen. Darf ich Ihnen Lady Willoughby und ihre Tochter Miss Constance Graham, Lady Butterworth und Sir Percival Ponsonby vorstellen?” Sie verwies mit einer eleganten Geste auf jeden, den sie ansprach. “Lord Edmund Wincote.”
Nachdem der junge Mann sich verbeugt hatte, machte Lady Willoughby ein nachdenkliches Gesicht. “Wincote … ich bin mir nicht sicher, ob ich Ihre Familie kenne. Woher kommen Sie?”
“Aus Cumberland, Mylady”, antwortete er, ohne zu zögern und ohne Anstoß daran zu nehmen, dass die Dame so unverhohlen neugierig nachgefragt hatte. “Ich habe bei meinem Großvater gelebt, der die letzten Jahre so oft krank war, dass er selten reiste. Nach dem Tod meines Bruders schätzte er es sehr, dass ich bei ihm blieb, um mich um das Anwesen zu kümmern. Leider verstarb er dieses Frühjahr.”
“Daher meine Unkenntnis”, sagte Lady Willoughby sichtlich zufrieden. “Sind Sie in Begleitung Ihrer Gemahlin in London?”
“Ich bin noch nicht vermählt, Mylady.”
“Wir sollten Sie einigen weiteren Gästen vorstellen”, bemerkte Lavinia, als peinliche Stille entstand. “Vielleicht kommen Sie auf diese Weise noch zu der einen oder anderen interessanten Einladung.”
“Ich bin Ihnen sehr verbunden, Lady Lavinia.”
Nachdem die beiden sich abgewandt hatten, knüpfte die Gesprächsrunde wieder an das vorherige Thema an.
“Wollen wir hoffen, dass Ihre Majestät nicht uneingeladen auf Constance’ Ball erscheint, das käme fast einer Katastrophe gleich”, seufzte Lady Graham. “Constance würde es doch sehr missbilligen, nicht wahr, meine Liebe?”
“Ja, Mama”, antwortete verlegen die überaus blasse und mausgraue Tochter, die jedoch unter dem schlichten blauen Kleid, das sie trug, eine annehmbare Figur vorzuweisen hatte.
“Was denken Sie, Euer Gnaden?”, fragte Lady Graham weiter. “Erwarten Sie die Königin in Stanmore House?”
“Nein. Mein Gemahl ist sehr darauf bedacht, unparteiisch zu bleiben, obgleich wir natürlich verpflichtet sind, morgen Abend der offiziellen Soiree Seiner Majestät in Carlton House beizuwohnen.”
Unterdessen schlenderten Lavinia und Lord Wincote durch das geräumige und geschmackvoll möblierte Gesellschaftszimmer. Sie genoss seine Nähe und seine ungemein höfliche, galante Art. Sie bewunderte ihn sogar dafür, dass er wie selbstverständlich die unmöglichen Fragen Lady Grahams beantwortet hatte.
“Mögen Sie die Schauspielerei, Mylord?”
Der Gentleman warf ihr einen überraschten Blick zu. “Die Schauspielerei?”, wiederholte er.
“Ja. Ich bin gerade dabei, eine Aufführung von Shakespeares ‘Ein Sommernachtstraum’ für einen mildtätigen Zweck zu organisieren. Ich würde es begrüßen, wenn mehr Leute daran teilnähmen.”
“Ich habe leider keine Erfahrung auf diesem Gebiet, Mylady.”
“Oh, das macht nichts. Sicher haben Sie bei Scharaden mitgespielt …”
“Nun ja, in meiner Jugend.”
“Na sehen Sie!”, rief sie triumphierend aus. “Bitte machen Sie mir die Freude und übernehmen Sie eine Rolle in
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