Lady Marys romantisches Abenteuer
erschien ihm immer noch schmerzlich schön. Doch heute waren ihre dunklen Augen rot gerändert, entweder vom Weinen oder vom Schlafmangel, und das helle Strahlen, das sonst auf ihrem Gesicht lag, war so verblasst, dass sie kaum mehr sie selbst zu sein schien. Sie sollte über die Bilder plaudern, die sie im Schloss zu sehen hoffte, und nicht still wie ein Grab dasitzen.
Nun gut, in ein paar Minuten würde er ihr und den anderen genug zu reden geben, dass es für die ganze Rückfahrt in die Stadt reichen würde.
Die Kutsche wurde langsamer, als sie jetzt über einen Wall fuhr und dann einen Wassergraben überquerte. Die hellen, runden Türme des Schlosses schienen über dem Wasser zu schweben. Johns Herz begann zu rasen, und nur mit seiner ganzen Willenskraft gelang es ihm, das vor ihm liegende mächtige Gebäude mit mildem Interesse zu betrachten. Zum Davonlaufen war es jetzt zu spät. So oder so, er musste das jetzt durchstehen.
„Was für ein schöner Besitz!“, rief Miss Wood aus. Sie war die Einzige, die überhaupt eine Gemütsregung zeigte. „Haben Sie jemals etwas Ähnliches gesehen, Lady Mary?“
„Nein, Miss Wood“, antwortete Mary knapp, wo sie doch angesichts des prächtigen Anblicks in Entzückensschreie hätte ausbrechen müssen.
„Das Schloss wurde so gebaut, um Ehrfurcht zu erwecken“, erklärte John und versuchte, doch noch seine Rolle des belehrenden Reiseführers zu spielen, obwohl er sich bemühen musste, die Vorstellung zu verdrängen, wie er in die Eisen gelegt werden würde, die sich in den unterirdischen Verliesen des Schlosses sicher noch befanden. „Deswegen hat man den Wald, durch den wir gerade gefahren sind, bewusst so dicht gepflanzt, damit die Überraschung beim Anblick des Schlosses größer ist. Tatsächlich ist es nicht ein Wald, sondern es sind drei Wälder – Chantilly, Halatte und Ermonville – zusammengefasst im Massif de Trois Forêts, und …“
Der Kutschenschlag wurde aufgerissen und drei sich verbeugende Diener mit weiß gepuderten Perücken und in der erlesenen goldenen Livree derer von Condé wurden sichtbar. Sie halfen Lady Diana als Erste aus der Kutsche. Ein kleiner, vergoldeter Schemel wurde eigens dazu vor der Kutsche aufgestellt. Mary und Miss Wood folgten. Sobald sie ausgestiegen waren, ließ einer der Diener den Schemel sofort wieder verschwinden, sodass John nichts anderes übrig blieb, als ohne Hilfe auf die Pflastersteine zu springen.
Meinetwegen, dachte John bitter. Wenn man ihm im Innern des Schlosses so wenig Beachtung schenkte, wie man seinen Erklärungen von den drei Wäldern Beachtung geschenkt hatte, dann hatte er wohl nichts weiter zu befürchten. Und wenn ihm das Glück hold war, würde der Prinz inzwischen seinen Namen vergessen haben.
Er folgte den drei Frauen die weißen Steinstufen hinauf. Zumindest hatte man sie erwartet. Dieser Empfehlungsbrief auf schwerem Papier musste also irgendeinen Einfluss ausgeübt haben. Selbstbewusstsein zeigen, sagte sich John, während er sich den Frauen anschloss. Selbstbewusstsein ließ andere immer glauben, man gehöre dazu, auch wenn es nicht stimmte.
Sie waren vom Butler, oder wie immer der Mann in einem so großen französischen Haushalt genannt wurde, begrüßt worden: einem hochgewachsenen, beeindruckenden Mann. Doch nach den ersten Begrüßungsworten entpuppte sich die Mitteilung des Butlers nicht gerade als ein herzliches Willkommen.
„Seine Hoheit ist nicht zu Hause?“, rief Miss Wood entrüstet aus. „Wie kann das sein, mein Herr? Wir haben eine Einladung für den heutigen Tag – ausdrücklich!“
Sie zog den Brief aus der Tasche und streckte ihn dem Butler zum Lesen hin.
Der warf noch nicht einmal einen Blick auf das Schreiben, das sie vor seiner Nase schwenkte. „Die Einladung Seiner Hoheit an die englischen Damen bezieht sich auf die Besichtigung seiner Bildersammlung. Gegenwärtig befindet sich Seine Hoheit in seiner Residenz in Paris und wird nicht so bald zurück erwartet.“
Während die Missverständnisse und Entschuldigungen weitergingen, spürte John, wie seine Anspannung schlagartig nachließ. Wenn der Prince de Condé nicht hier war, dann konnte er sich auch nicht an Johns Gesicht oder Namen erinnern, geschweige denn ihn mit dem alten Skandal in Verbindung bringen, der ihn zum Ausgestoßenen hatte werden lassen. Es würden sich keine Eisen um seine Handgelenke schließen, es gäbe kein überstürztes Hinabsteigen ins Verlies, jedenfalls dieses Mal nicht. Und, das
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