Lady Marys romantisches Abenteuer
als gäbe es Mary gar nicht.
Mary verharrte auf dem kleinen eisernen Trittbrett der Kutsche und sah ihr nach. Ihr Gewissen drückte sie fast so sehr, wie ihr das Herz schwer war.
Sie fühlte, wie Johns warme Finger ihre Hand umschlossen, um ihr hinunter zu helfen. Sie hatte keine Ahnung, wie viel er von der Unterhaltung mitbekommen hatte, und sie fühlte sich jetzt so erschöpft und verwirrt, dass es ihr fast gleichgültig war, ob er sie belauscht hatte.
„Es tut mir leid, Mary“, sagte er leise, eine Entschuldigung, die vieles bedeuten konnte. „Es tut mir leid.“
„Mir auch, Mylord“, erwiderte sie traurig. „Mir auch.“
Am nächsten Morgen saß John zum ersten Mal in der Kutsche des Duke of Aston. Noch nie zuvor war er auf diese Art gereist: sanft gewiegt von der allermodernsten Stahlfederung und auf Polstern ruhend, die so weich waren, dass sie frisch gefüllt sein mussten. Doch statt diesen Komfort zu genießen, verursachte er ihm Unbehagen. Eingesperrt in dieser glänzenden blauen Kutsche kam er sich wie eine dieser winzigen emaillierten Figuren vor, die nur zum Ansehen da waren und zu nichts sonst.
Die Kutsche war nicht das Einzige, was ihm an diesem Morgen unecht erschien. Miss Wood saß neben ihm, und ihm gegenüber saßen die beiden Schwestern. Die Damen waren heute aufs Feinste herausgeputzt. Von den bestickten Seidenschuhen an ihren Füßen bis hin zu den sich kräuselnden Straußenfedern an ihren Hüten waren sie bereit, dem Prince de Condé ihre Aufwartung zu machen und sein Schloss zu besichtigen.
Doch keine der Schwestern sprach mit der anderen. Mit eiserner Entschlossenheit starrte jede aus ihrem Fenster, ohne dass auch nur eine Silbe zwischen ihnen gesprochen wurde. John war sich sicher, dass er dafür die Ursache war. Er hatte ihren Streit in der Kutsche letzte Nacht gehört, wenn er auch nicht jedes Wort verstanden hatte. Er bedauerte das sehr, und er hoffte, dass Mary nicht ihm die Schuld gab. Es schien allerdings so. Doch selbst wenn dem so war, bereute er sein Verhalten Lady Diana gegenüber nicht. Es war jetzt an den beiden, die Sache wieder in Ordnung zu bringen. Zwei Brüder würden sich einfach prügeln, und der Streit wäre auf der Stelle beigelegt, ohne nachtragende Wut und dieses große Drama, zu dem Damen neigten.
Es war wohl kaum sein Fehler, auch wenn er jetzt unter den Folgen zu leiden hatte. Eine davon schien zu sein, dass Miss Wood nun als Vermittlerin zwischen den Schwestern fungieren musste. Und dass sie die Lücke in der Konversation, welche ihr Schweigen verursachte, schließen musste.
„Sie glauben nicht, wie dreist sich die französischen Zimmermädchen im Gasthof uns gegenüber benehmen, Mylord“, sagte sie gerade zu John. „Nehmen wir zum Beispiel die junge Person, die uns heute Morgen das Frühstück servierte. Sie stellte die Tabletts ab und dann stand sie nur da und glotzte. Mit offenem Mund und großen Kuhaugen sah sie sich in unserem Zimmer um, als hätte sie noch nie zuvor eine Dame und deren Hab und Gut gesehen.“
„Vielleicht hat sie das auch noch nicht“, murmelte John. „Sie könnte neu in ihrer Stellung sein.“
„Vielleicht ist das die Erklärung dafür, Mylord“, stimmte Miss Wood zu. „Wenn wir die ersten englischen Damen sind, die sie je gesehen hat, dann könnte das der Grund dafür sein, dass sie nur dastand und gaffte, gerade so, als wollte sie sich jedes Detail einprägen, um zu Hause davon zu erzählen.“
Warum war er überhaupt hier, dachte John trübsinnig. Warum hatte er nur seinen elegantesten, feinsten Rock und ein mit Spitzen besetztes Hemd aus Leinen angezogen, viel zu warm für diese Jahreszeit und dazu noch kratzig? Wieso hatte er nicht an seinem ersten Entschluss festgehalten, nicht mit aufs Schloss zu fahren?
An seinen anfänglichen Vorbehalten hatte sich nichts geändert. Er konnte in eine Situation geraten, die im besten Fall beschämend war, im schlimmsten Fall, sollte Seine Hoheit in rachsüchtiger Stimmung sein, John ins nächste Gefängnis brachte. Die Franzosen konnten eine verschworene Bande sein, mit eigenen Vorstellungen von Gerechtigkeit. Mochten die englischen Behörden ihn auch des Mordes freigesprochen haben. Da der Mann, den er getötet hatte, Franzose und noch dazu ein Offizier gewesen war, sahen die Gerichte hier in Frankreich die Sache möglicherweise in einem ganz anderen Licht. Kein Wunder, dass der Ausdruck, mit dem er jetzt Lady Mary ansah, der Verzweiflung gefährlich nahe kam.
Sie
Weitere Kostenlose Bücher