Lady Marys romantisches Abenteuer
anderes würde ich gar nicht führen.“
„Zeigen Sie gefälligst Respekt“, befahl der Diener streng. „Ihre Ladyschaft ist keine Ihrer üblichen Mamsellen. Sie ist Lady Mary Farren, Tochter Seiner Gnaden des Duke of Aston.“
Das Mädchen rümpfte die Nase. „Oh, bitte, Winters, das ist nicht nötig. Dem Mann ist es gleich, wer ich bin.“
Aber Dumont war es ganz und gar nicht gleich, und John konnte buchstäblich sehen, wie sich im Kopf des Franzosen sofort die Preise erhöhten. In einem schmutzigen alten Hafen wie Calais fand man wirklich selten so eine kleine Taube wie die Tochter eines Dukes.
Und obwohl sie die Tochter eines Dukes war, war sie unverheiratet. Interessant, dachte John. Wieso war sie nicht in London, auf der Jagd nach einem passenden Mann, wie es jedes Mädchen ihres Alters und ihrer Herkunft machen würde? Sicher war sie hübsch genug, und Geld für eine Mitgift war zweifellos vorhanden. Hatte es da vielleicht irgendeinen faszinierenden Skandal gegeben, weswegen es sie jetzt an diese Küste verschlug?
Sehr interessant. Vielleicht konnte er sie dazu überreden, ihm zu helfen, sich bis zu seiner Abreise ein wenig zu amüsieren …
„Oh, Mylady, vergeben Sie mir die Unkenntnis Ihres hohen Standes!“, rief der Ladenbesitzer gerade aus. „Ihre Anwesenheit ehrt mich! Dass Sie meine Kundin sind! Wie können Sie nur glauben, es sei mir egal!“
„Schon gut, danke“, sagte Lady Mary sichtlich unbeeindruckt. „Wenn ich jetzt Ihre Bilder sehen könnte.“
Wieder lächelte John. Er mochte Frauen, die geradeheraus waren, die keine Schmeicheleien nötig hatten.
„ Mais oui , Mylady.“ Mit einer weiteren Verbeugung geleitete Dumont sie die Wand entlang, vorbei an einigen grimmig dreinblickenden Porträts und blieb dann vor einem Landschaftsbild mit zwei Flöte spielenden Satyrn stehen, die auf ihren Ziegenbeinen durch eine Blumenwiese tänzelten. „Also das hier ist ein Bild allerersten Ranges, Mylady. Aus der Schule des Claude, wenn nicht sogar vom Meister selbst.“
Das Mädchen antwortete nicht, sondern bückte sich, um die Oberfläche des Gemäldes besser studieren zu können. Sie runzelte skeptisch die Stirn.
Unerschrocken wagte Dumont einen Vorstoß. „Der Pinselstrich ist superb, nicht wahr, Mylady? Letzte Woche verkaufte ich ein ganz ähnliches Bild – allerdings nicht halb so schön – an einen englischen Herrn. Er war ganz entzückt, es für seinen Landsitz erworben zu haben.“
„Das wäre ich nicht“, erwiderte sie und trat einen Schritt zurück. „Ich meine, darüber entzückt, ein solches Bild zu besitzen. Wer will sich schon jeden Tag beim Tee diese schrecklichen Satyrn anschauen?“
„Ah, Ihre Ladyschaft hat einen besonderen Geschmack“, murmelte Dumont. „Ich meine, einen vornehmen Geschmack.“
„Was ich habe, ist eine Vorliebe für Qualität“,beschied sie.„Es sind nicht die Satyrn an sich, die ich nicht mag. Es ist die plumpe Art, in der sie gemalt sind. Sie verleumden Claude, guter Mann, wenn Sie behaupten, diese Schmiererei hier sei von ihm.“
„Aus der Schule des Claude, Mylady, aus der Schule“, sagte Dumont hastig und ging zu einem düsteren Stillleben aus verwelkten Blumen und faulenden Früchten. „Vielleicht bevorzugen Sie eher erbauliche Bilder, Mylady, Bilder, die Sie an Ihre Sterblichkeit erinnern und Sie vor den Folgen eines weltlichen Lebens warnen.“
„Eine Dame sollte solche Warnungen nicht nötig haben“, meinte sie. „Aber dieses Bild hier – das gefällt mir gut.“
Graziös ging sie um Dumont herum und kauerte sich vor einem kleinen Bild nieder, das an der Wand lehnte. Sie kippte den schweren goldenen Rahmen etwas nach hinten und lächelte dann triumphierend.
Dumont runzelte die Stirn. „Dieses da, Mylady? Oh, ich fürchte nein, ich fürchte, nein!“
In John erwachte die Neugier. Von seinem Platz am Fenster aus konnte er hinter den aufgebauschten Röcken des Mädchens das kleine Bild nicht sehen. Wofür mochte das Mädchen ein Auge haben? Hatte es ihr eine albern lächelnde Schäferin oder ein Hündchen mit Schlappohren angetan, wie es wohl bei den meisten jungen englischen Damen der Fall gewesen wäre, oder hatte sie etwas wirklich Wertvolles entdeckt?
Immer noch in der Hocke, mit der Hand am Bilderrahmen, blickte Lady Mary mit ungläubigem Gesicht zu Dumont auf. „Wieso, um Himmels willen, hegen Sie wegen eines solchen Bildes Befürchtungen? Es ist schön, wunderschön und überhaupt nicht schrecklich. Wieso haben
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