Lady Punk - Roman
nachzugeben, um kleiner zu wirken, hielt diese Stellung aber nicht lange durch. Wenn das Gott-Vergelt’s von der Mutter des verrückten Herbert ernst gemeint war, dann sollte es der liebe Gott, bitte schön, auch hören und Terrys Wachstum stoppen, sie war lang genug.
Da an ihrer Länge nun nichts zu machen war, streckte sich Terry vollends und besah sich reihum die Anwesenden, die nacheinander zum Grab traten, Erde oder Blumen auf den herabgelassenen Sarg warfen und danach der Mutter des verrückten Herbert die Hand schüttelten. Sie sagten alle ein paar Worte, blödsinnige Sätze wie »Es ist bestimmt besser so« oder »Es war Gottes Wille«, und die Mutter des verrückten Herbert sagte jedes Mal: »Der Herr hat’s gegeben, der Herr hat’s genommen«, und niemand, niemand weinte eine Träne, und Terry hatte den Verdacht, dass alle irgendwie froh waren, dass es den verrückten Herbert nicht mehr gab.
Auch Karl-Heinz Gutbrod war unter den Trauergästen. Als Terry ihn sah, erwartete sie, dass sie zusammenzuckte oder sonst was Außergewöhnliches mit ihr geschähe, aber es passierte nichts mit ihr. Der kleine Gedanke ›Oh, den gibt es auch noch!‹ schoss ihr durch den Kopf, und sie wunderte sich auch ein bisschen, dass er die ganze Polizeiaktion, die es während ihrer Abwesenheit gegeben haben musste, überlebt hatte. Aber Terry spürte keine Wut in sich. Ihre ganze Kraft musste mit diesem Sommer verloren gegangen sein.
»Mein Beileid«, sagte Dr. Gutbrod und schüttelte die Hand von der Mutter des verrückten Herbert. Mit seiner linken Hand strich er ein paar Mal über ihren Oberarm, als ob er sie streicheln wollte.
»Der Herr hat’s gegeben, der Herr hat’s genommen«, sagte die Mutter des verrückten Herbert. »Danke auch, Herr Doktor.«
Dr. Gutbrod ging. Terry sah ihm nach. Wieder trug er diese seltsame Art von Schuhen. Diesmal waren sie nicht zweifarbig, sondern aus zweierlei Arten von schwarzem Leder gefertigt. Die Teile, die den Fuß umschlossen, waren aus glattem Rindleder. Die Laschen aber, die mit Schnürsenkeln zusammengehalten wurden, hatte man aus grobem Krokodilleder gearbeitet.
Terry sah diese Schuhe, und ihr fiel Onkel Hugo ein, der immer ähnlich aussehende Schuhe trug. Onkel Hugo gab es nicht mehr, jedenfalls nicht für Terry, und sie ließ Karl-Heinz Gutbrod ziehen, ohne einen bösen Gedanken über ihn im Kopf zu haben. Wütend war sie jetzt nur noch auf Männer mit Halbglatzen und dicken Bäuchen und besonders wütend auf ihre Mutter, die nicht ohne sein konnte, wie Lieschen es ausgedrückt hatte. Und ein bisschen wütend war Terry auch auf sich selber, weil sie das alles eingefädelt hatte, obwohl sie nur den halben Weg hatte überschauen können.
Terry trat zum Grab und sah hinab, wo weit unten in diesem Holzkasten der verrückte Herbert lag, den der Herr genommen hatte. Es war heute so viel von Gott die Rede gewesen, und Terry schloss den vielen Gebeten noch eine Bitte an, nämlich dass der Herr ihr doch die Klugheit von Lieschen verleihen möge. Und insgeheim, aber ohne dass der Herr es hören konnte, fügte sie hinzu, dass ihr auch die Entfernung von Onkel Bernd gelingen möge, ohne nachfolgenden Onkel, und dass die Jahre, die bis zu ihrem achtzehnten Geburtstag noch verstreichen würden, schneller vergehen sollten. Sie wünschte der Mutter für ihre Todsünden die gerechte Strafe und sich einen Brief von C. W. Burger, Lieschen ein langes Leben und dem verrückten Herbert, wenn es schon sein musste, den ewigen Frieden, was immer das sein mochte.
Sie sah hinunter auf den verrückten Herbert und versuchte, wenigstens einmal in ihrem Leben zu weinen, aber es gelang ihr nicht. Als sie aufsah, fühlte sie sich dem verrückten Herbert sehr verwandt und war überzeugt, ihn als Einzige verstanden zu haben.
Aus dem Kranz, auf dem neben den unzähligen rosa Blüten eine weiße Seidenschleife befestigt war, mit der die Familie Burger und Lieschen letzte Grüße schickten, zog Terry eine halb geöffnete Rose. Sie steckte sie in das oberste Knopfloch ihres schwarzen Satinanzugs. Als sie als Letzte von all den Besuchern des verrückten Herbert den Friedhof verließ, fand sie, dass sie prachtvoll aussehen müsse. Sie hatte ausgesprochen gute Laune, als sie das Eingangstor an der Friedhofsmauer erreichte.
Lieschen wartete dort. »Gott gebe, dass ich noch da bin, bis du es geschafft hast«, sagte sie, indem sie auf die rosa Rose im Knopfloch schaute. Terry wusste überhaupt nicht, was Lieschen
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