Lady Punk - Roman
waren eine Menge Reklameblätter darin, Sonderangebote der Supermärkte und die Aufforderung der Post, sich kostengünstig einen Telefonanschluss legen zu lassen. Weiterhin befand sich in dem Briefkasten eine Probe Haushaltsreiniger mit Zitronenfrische. Die kleine Plastikflasche, in der sich das Reinigungsmittel befand, warf sie in den Briefkasten, der neben dem der Adamskis an der Hauswand befestigt war.
Und dann war da noch der Brief aus Amerika. Miss Terry Burger stand da in blauer Tinte. Es war in einer großzügigen Handschrift geschrieben, die Terry auf Anhieb liebte.
Auf der Vorderseite des Briefumschlags war seitlich, quer zu Terrys Anschrift, die des Absenders zu lesen. Es war C. W. Burger aus Pittsburgh, aber das hatte Terry ja schon gewusst.
Terry schloss den Briefkasten wieder ab. Sie ging nicht in ihre Wohnung, es war nicht notwendig. Sie hatte ihren guten Zweck gehabt. Was sollte Terry mit einer Wohnung, wenn sie schon in wenigen Tagen in Amerika war. So warf Terry die drei Schlüssel in den Briefkasten der Adamskis. Irgendwie müsste sie die Sache mit denen auch regeln, aus der Welt schaffen , aber das war jetzt nicht ihr Problem.
Terry ging den Weg zurück, und jetzt hatte sie das Gefühl, alle Leute grüßen zu müssen. In Gedanken hörte sie Lieschens Anweisung »beherrsch dich«, und das tat sie auch, denn es ging wirklich keinen etwas an, dass sie bald in Amerika sein würde. Trotzdem strahlte es in ihr, und sie war überzeugt, dass alle Leute es sehen würden. Was für ein glückliches Mädchen, würden die Leute denken. Terry übersetzte es auf Englisch, happy girl, ganz einfach, und sie saß schon im Flugzeug, nein Jet, hörte die Turbinen heulen, dann stieg sie dröhnend auf, durch den auf der Stadt lastenden Dunst hindurch, über die Wolken, up, up and away.
Den Brief wollte Terry erst zu Hause öffnen oder am Montag, nach der Schule, oder vorher, bevor sie sich von allen verabschiedete, und sie stellte sich eine Abschiedsfeier vor bei McDonald’s, mit der ganzen Klasse und den anderen aus der Clique, die nach der Schule immer dort saßen. Was immer sie veranstalten würde, sie hatte Zeit bis dahin. Dieses Gefühl in ihr wollte sie festhalten. Vorfreude war es, sie hatte nicht gewusst, dass es so was gab.
Sie steckte diesen voll geschriebenen und mit Marken voll geklebten Brief in die Gesäßtasche ihrer Jeans, in der schon das Bild ihres Vaters war, und als Terry die Hände frei hatte, schlenkerte sie mit den Armen so ausgiebig, dass sie die Luft, die dabei nach vorn und hinten wegzischte, als Widerstand empfand, der sie nicht halten durfte und den sie fortschieben musste, denn Amerika wartete auf sie, Amerika, Amerika.
Terry nahm dann doch den Bus, der sie bis zum Kurfürstendamm brachte, wo sie an dem Imbissstand ausstieg, an dem vor all dieser Zeit ihre Verrücktheit angefangen hatte, dieses Durcheinander in ihrem Kopf, das sich aber jetzt vollständig beruhigt hatte. Ja, sie war sogar bereit, ihrer Mutter alles zu verzeihen, sie brauchte sie nicht mehr, ab heute ging jeder seinen eigenen Weg.
Vor dem Imbisswagen stand, als ob sich seit Wochen nichts verändert hatte, Josef, der Maler, der immer noch Ausschau hielt nach jemandem, der ihm ein Eis spendieren würde. Terry hatte erwartet, einen Schrecken zu verspüren, zumindest dieses drückende Gefühl von Scham, aber sie war fast froh, ihn zu sehen. Er stand heute nur still da, hielt die kleine Hand offen in der Erwartung eines Geldstückes.
Terry ging zu ihm. »Hey«, sagte sie und Josef, der Maler, hielt die leere Hand noch ein Stückchen höher. Obwohl seine Augen noch trauriger waren als damals, spürte Terry dieselbe Verwandtschaft mit ihm, wie sie es zuletzt beim verrückten Herbert gefühlt hatte. Sie war inzwischen fröhlich geworden, aber sie hatte Verständnis für alle, die anders waren. Ihre Haare mussten nun auch so ähnlich wie die von Josef aussehen, so dass sie schon äußerlich wie Bruder und Schwester wirken konnten.
Josef, der Maler, schien sie nicht zu erkennen. Terry setzte sich vor ihm in die Hocke. Diese Haltung erinnerte sie stark an ihre erste Begegnung, aber sie schämte sich wirklich nicht. Sie fasste Josef an beide Oberarme. »Ich bin die Tante«, sagte sie. »Weißt du, wie wir damals in dem Haus waren?«
Josef sah hinunter auf seine Handfläche und anschließend Terry wieder ins Gesicht. Er schien kein Wort zu verstehen. Terry stand auf. »Das Haus«, sagte sie. »Weißt du, das, in dem du auf die
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