Lady Punk - Roman
war hartnäckig. Sie hatte mit Onkel Bernd anscheinend einen besseren Tausch gemacht und daran hielt sie fest.
Terry konnte es nicht aufgeben, Onkel Bernd fasziniert anzuschauen, und er beschwerte sich weiterhin bei der Mutter: »Deine Tochter mag mich nicht.«
Terry verließ dann das Zimmer, legte in ihren letzten Blick auf die beiden so viel Verachtung, wie sie nur aufbringen konnte, und dachte den Rest des Abends an den verlorenen Sommer und an Marcel, dessen Gesicht sie sich zwar auch nicht mehr vorstellen konnte, dessen Arme aber da waren, in die sie sich fallen lassen konnte, und ihr schönster Moment war der, wenn sie ihren Kopf in seine Hände legen konnte, in denen es warm war und nach Mittelmeer duftete.
Ihre Gedanken gingen nicht weiter hinaus. Es hätte auch bedeutet, dass sie Marcel verstoßen müsste, weil er sie verraten hatte. Aber indem sie ihn verwandeln konnte (mal hatte er blonde Haare und mal roch er nach frischem Fisch, wobei Terry nicht wusste, ob er am Mittelmeer gefangen war oder einfach aus dem Nordsee -Restaurant stammte), war er brauchbar geworden, bis sie durch irgendwas aufschreckte, und sei es nur durch die ewige Wiederholung dieses Gedankens, und sich allein wiederfand, im Bett oder wie jetzt am Fenster stehend.
Es war wie ein ewiger Kreislauf, und wie Terry dastand und sich in den Fensterscheiben spiegelte, entschied sie – damit überhaupt was geschähe –, sich die Haare zu schneiden.
Mit der Nagelschere, die eigentlich viel zu klein und krumm war, schnitt sie in ihr dichtes Haar, das schließlich wie ein Igelfell nach allen Seiten abstand. Terry wusste nicht, ob sie zufrieden war oder nicht. Die herabgefallenen, leicht gelockten Haarsträhnen hob sie auf und pustete sie einzeln aus dem Fenster. Draußen schwebten die Löckchen wie Federn, nach oben, nach unten. Terry musste an Asche denken, die im Wind verstreut wurde, und als später Lieschen bei ihrem Anblick einen Schrecken bekam, sagte Terry: »Wenn ich tot bin, möchte ich ein Seemannsgrab«, und das widersprach allem, was Terry sich eigentlich bisher von ihrer Zukunft erhofft hatte. Es drückte aber die Stimmung aus, in der sie sich im Moment befand.
Endlich, drei Tage vor Schulbeginn, ging sie los. Sie wusste, dass es der richtige Zeitpunkt war, sie hatte es im Gefühl. Alles Warten war im Grunde nur darauf gerichtet, obwohl sie den Gedanken an C. W. Burger verdrängt hatte. Aber an dem Morgen drängte er sich einfach in ihren Kopf. Sie zog sich an, als ob sie einen Besuch machen wollte. Dabei würde sie nur ihre eigene Wohnung aufsuchen, ihren eigenen Briefkasten aufmachen, ihre eigene Post herausnehmen, sie öffnen und lesen. Es war ein ganz normaler Tag, wie er sein sollte. Terry würde Post von ihrem Vater erhalten, wie hunderttausende an diesem Tag Post von ihrem Vater bekommen würden, wenn er in den Ferien war oder bei Geschäften, auf einer Reise.
Es war einer jener seltenen Tage, an denen man meint, alles schon erlebt zu haben. Das Muster der in Sand gelegten Steinplatten des Bürgersteiges war bekannt. Den sich an der Hauswand entlangdrückenden Hund kannte Terry ebenfalls. Er sah todtraurig aus, lief mit eingezogenem Schwanz und schief gelegtem Kopf an Terry vorbei und erinnerte Terry irgendwie an einen Menschen, den sie mal gekannt haben musste und der Josef, der Maler, hieß oder so ähnlich.
Terry lief den kilometerlangen Weg nach Steglitz zu Fuß. Ihre Füße in den Turnschuhen schmerzten schon ab der Hälfte des Weges. Als sie an einer Würstchenbude vorbeikam, hatte sie kurz den Wunsch, etwas zu essen, eine Currywurst vielleicht, aber irgendwie fühlte sie sich vollständig satt. Es war nur die Gewohnheit, die sie an solche Stätten wie Imbisswagen und Pizzerias hinzog, aber eigentlich, eigentlich war sie heute satt …
So lief sie weiter. Auch den alten Backsteinbau konnte sie noch nie gesehen haben, aber sie erinnerte sich merkwürdigerweise deutlich an dieses rote Haus. Und als später eine alte Frau, die auf beiden Seiten schwere Plastiktüten schleppte, Terry grüßte, richtig deutlich ›Guten Tag‹ sagte, wusste Terry, dass sie auf dem richtigen Weg war. Sie wurde erkannt, so wie sie sich an die Dinge freundlich erinnerte. Und möglicherweise war alles nur, um ihr den Abschied zu erleichtern; denn heute war es der Neubeginn für sie. Vielleicht war sie schon morgen in Amerika.
Es war alles, wie sie gedacht hatte. Sie öffnete die Tür zu ihrem Briefkasten mit der Aufschrift Adamski . Es
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