Ladylike
berufstätigen Frauen sind es zusätzlich noch Haushalts- und Familienpflichten, die täglich neu bewältigt werden müssen. Endlich sind wir weitgehend davon frei, aber nutzen wir die geschenkte Zeit? Durch unsere zunehmende Verlangsamung halten wir uns leider oft so ausgiebig mit alltäglichen Verrichtungen auf, daß wir wieder nicht zum Kern unserer Bedürfnisse vorstoßen. Einige aus unserer ehemaligen Schulklasse haben neue Hobbys entdeckt, engagieren sich für gemeinnützige oder karitative Belange, eine zieht sogar ein verwaistes Enkelkind auf, manche lernen Fremdsprachen, besuchen Vorlesungen, wandern, reisen. Und wir? Reicht es, wenn ich ein wenig lese und Anneliese ihre Blumen gießt?
Es ist in Ordnung, sage ich mir, wir können tun und lassen, was wir wollen. Und die meisten unserer Bekannten beneiden uns um unsere langjährige Freundschaft und um die Idee, auf die alten Tage zusammenzuleben. Wir begründen es meistens mit praktischen Aspekten. Sollte eine von uns einmal krank werden oder sonstige Hilfe brauchen, dann muß nicht immer gleich nach Verwandten gerufen werden. Unsere Kinder sind vielbeschäftigt und weit weg.
Auch Ewald hat zwei Kinder, und er liebt es, über sie zu lästern. Anneliese hat listig nachgefragt, warum sich seine Tochter nicht Urlaub nimmt, um eine Weile die kranke Mutter zu vertreten.
»Für pubertierende Kinder sind Vati und Mutti wohl schwer zu ertragen«, sagt Ewald. »Aber noch schlimmer ist es für alte Eltern, wenn der erwachsene Nachwuchs anrückt und sie bevormunden möchte. Papa, du solltest mehr Obst essen! Papa, warum gehst du nicht mal ins Kino! Papa, dein Computer ist ein Fossil und muß entsorgt werden! Und so geht das dann den lieben langen Tag.«
Anneliese pflichtet ihm bei. Auch ihre vier Kinder, die alle schwierig waren, sparen nicht mit gutgemeinten Ratschlägen. Einen Rechner besitzt sie zum Glück nicht, aber der eine Sohn will das riesige Radio verschrotten, der andere im Keller eine Sauna einbauen, die eine Tochter möchte ihre Mutter bei einem Handy-Kurs anmelden, die andere füllte die Garage mit einem gigantischen Vorrat an salzhaltigem Mineralwasser, weil alle Alten angeblich zu wenig trinken. Ich mag mein einziges Kind nicht anschwärzen, aber ich erinnere mich genau, daß Christian unsere Möbel um etwa die Hälfte reduzieren wollte. Entsorgen ist das Schlagwort, das wir im Zusammensein mit der jungen Generation ständig zu hören kriegen.
Wir möchten aber liebgewonnene Gegenstände, die uns ein Leben lang begleitet haben, nicht einfach auf den Müll kippen. Am Ende besteht man darauf, daß auch wir selbst mit achtzig Jahren entsorgt werden, weil wir dem Zeitgeist nicht mehr entsprechen.
10
Es ist nicht fair von Anneliese. Über meinen Kopf hinweg macht sie Ewald einen wohlüberlegten Vorschlag, der spontan klingen soll. »Du, mir kommt plötzlich eine Idee! Wenn du länger in Heidelberg bleiben willst, könntest du auch bei uns wohnen. Das ist billiger und vielleicht ein bißchen netter.«
Ewald reagiert verblüfft, doch bestimmt ist es nur Theater, und sie haben sich hinter meinem Rücken längst geeinigt.
»Das kann ich unmöglich annehmen!« sagt er kopfschüttelnd. »Aber danke für das liebenswürdige Angebot!«
Schon nach einem kurzen Geplänkel scheint er Annelieses Offerte bis auf einen kleinen Einwand durchaus zu akzeptieren.
»Bernadette neigt zur Eifersucht«, gibt er zu bedenken. »Sie könnte es falsch interpretieren, wenn ich abends nicht mehr im Hotel erreichbar bin. Am besten wäre es, mein holdes Weib würde euch persönlich kennenlernen und sich mit eigenen Augen von der Harmlosigkeit unserer Freundschaft überzeugen.«
Der Gesundheitszustand seiner Frau lasse es durchaus zu, daß er sie demnächst zum Nachmittagskaffee mitbringe. Anneliese nimmt ihn beim Wort; übermorgen passe es gut, meint sie.
Meine Freundin ist nervös, und ich ahne, was in ihr vorgeht. Soll sie als biedere Hausfrau auftreten, die zwar guten Kuchen bäckt, aber bestimmt keine Femme fatale ist? In diesem Fall hätte Bernadette sicher nichts dagegen, wenn ihr Mann bei uns logierte. Oder soll Anneliese lieber ihren Witz und ihr Temperament zum Einsatz bringen? Wenn die mißtrauisch gewordene Ehefrau daraufhin ihrem Mann die Hölle heißmacht, wird er sich um so mehr auf Annelieses Heiterkeit besinnen. Mir kann das egal sein. Aber wohl ist mir nicht bei dem Gedanken, daß Ewald womöglich in unser Fremdenzimmer übersiedelt.
Endlich wird
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