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Ladylike

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Titel: Ladylike Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Noll
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Gepäck, denn er mußte das Hotelzimmer räumen. Da seine Frau ihre Lesebrille dringend braucht, fährt er gleich wieder davon, um die Handtasche zur Klinik zu bringen. Aber als ich mich gerade mit einem Buch unter den Kirschbaum zurückgezogen habe, taucht er an Annelieses Seite schon wieder auf. Die übliche Gartenbegehung ist fällig; die kundige Besitzerin nennt lateinische Blumennamen, erklärt die Kräuterbeete, glänzt mit botanischem Wissen. Ich mische mich nicht ein, verlasse aber fluchtartig mein Refugium, als Ewald kurz darauf mit knatterndem Getöse den Rasen mäht.
    Später erfahren wir, daß sich Bernadette strikt gegen Ewalds Umsiedelung ausgesprochen hat. Und zwar nicht aus unterschwelliger Eifersucht, sondern eher aus Stolz. Man habe es wirklich nicht nötig, am Hotel zu sparen! Sie wisse auch gar nicht, wie man sich uns gegenüber erkenntlich zeigen könne.
    Völlig ungerührt meint Anneliese: »Da muß sie sich nicht lange den Kopf zerbrechen. Ich bräuchte einen neuen Fernsehapparat. Und zwar so einen flachen mit übergroßem Bildschirm.«
     
    Zum Mittagessen gibt es Pellkartoffeln, kalten Braten und Annelieses berühmte grüne Sauce mit Kräutern aus eigenem Anbau.
    Ewald ist begeistert, er kannte dieses Gericht nicht.
    »So etwas Schmackhaftes hat Bernadette noch nie auf den Tisch gebracht«, sagt er, »schade, daß sie es nicht probieren kann!«
    »Kein Problem«, sagt Anneliese, »es ist genug übrig. Ich fülle rasch ein Marmeladengläschen!«
    Mir wird angst und bange.

11
    In Annelieses Elternhaus war man fromm; ihre Mutter hatte nie aufgehört, für den vermißten Vater zu beten. Als er aus russischer Gefangenschaft zurückkehrte, führte sie es auf ihren guten Draht nach oben zurück. Mir gefiel dieser Gedanke nicht besonders, da während des Krieges Tausende von Frauen ihre Männer vergeblich ins Gebet eingeschlossen hatten. Beim ersten gemeinsamen Mittagessen mit Annelieses Familie saß ich fröhlich plaudernd am Tisch und wollte mir gerade eine Gabel voll Kartoffelbrei einverleiben, als ich mir plötzlich der vorwurfsvollen Stille bewußt wurde. Ich schaute auf und sah, daß die ganze Familie mit gefalteten Händen auf mich wartete. Die Situation war mir unendlich peinlich, und ich nahm es Anneliese übel, daß sie mich nicht gewarnt hatte.
    Sie hat die elterlichen Regeln meistens beherzigt und war im großen ganzen kein aufsässiges Mädchen gewesen, das man in unserer Jugend sowieso mit der Laterne suchen mußte. Ihre Mutter erzählte zwar, daß Annelieses erstes Wort nicht Mama oder Papa , sondern Nein gewesen sei, aber das war vielleicht Zufall. Nur einmal soll das Temperament mit ihr durchgegangen sein: In der kargen Nachkriegszeit wurde wochenlang Zwetschgenmus eingekocht, da Annelieses Großeltern einen Schrebergarten besaßen, der die Familie vor dem Verhungern rettete. Auch die Kinder mußten helfen und im großen Kessel der Waschküche den Brei umrühren. Oft trafen kochende Spritzer auf nackte Arme, und das Wehgeschrei war groß. Immer wieder wurde Nachschub geerntet, ohne Unterlaß füllte sich ein wandhohes Bretterregal mit Gläsern, dem ganzen Stolz der fleißigen Mutter. Die übermüdete Anneliese konnte schließlich nicht mehr. Ihr Tobsuchtsanfall ist in die Familiengeschichte eingegangen: Laut schreiend trat sie mehrmals so heftig gegen das Gestell, daß es umstürzte und sämtliche Gläser auf dem Steinboden zerschellten. Wegen der Glassplitter konnte nicht das kleinste bißchen gerettet werden.
    Diese Tat gefiel mir gut. Ich hätte nie die Kühnheit zur Rebellion besessen. Heute kann wohl keiner mehr nachvollziehen, wie groß damals der Frevel war, Nahrungsmittel mutwillig zu zerstören.
    Natürlich gibt mir diese Anekdote auch zu denken, denn in Anneliese steckt ein Potential an Wut und Mut, dem ich nicht ausgeliefert sein möchte. Neulich kam es zu den ersten Spannungen.

»Was gibt es heute zum Mittagessen?« fragte ich ganz harmlos und mußte mir anhören, daß Anneliese das Kochen leid sei. Dabei ist sie selber schuld, weil sie – seit Ewald hier ist – die Küchenarbeit komplett an sich gerissen hat. Offenbar traut sie mir nicht zu, ein gestandenes Mannsbild zu verwöhnen.
    Ihr aggressiver Ton mißfiel mir; und wo sie einmal dabei war, zählte sie noch weitere Arbeiten auf, für die ich mir angeblich zu fein sei.
    Ich gab zu bedenken, daß ich schließlich die Lebensmittel, die Putzfrau und alle vier Wochen den Gärtner bezahle. Außerdem hielt ich ihr vor,

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