Ladylike
Inzwischen habe ich meine eigenen Messer, Gabeln und Löffel aus dem Verkehr gezogen, was natürlich schade ist. Ich erwog bereits, das mit Monogramm versehene Jugendstilbesteck meinem Sohn zu überlassen. Doch Christians Frau würde das Silber auch nicht pflegen. Sie bevorzugt aus praktischen Gründen Edelstahl.
Haare im Waschbecken sind bei uns ein Thema, über das sich Anneliese mokiert. Leider scheint es zu stimmen, daß ich meine weißen Haare übersehe, wenn sie beim Kämmen herumfliegen. Ich wiederum mag es nicht, wenn sie den Duschvorhang nicht auseinanderzieht, damit er trocknet, ohne zu schimmeln.
Doch im Grunde sind das Bagatellen, über die man als lebenserfahrene Frau hinwegsehen könnte. Geräusche gehen mir allerdings wirklich auf die Nerven, aber ich traue mich nicht, Anneliese auf eine spezielle Unart anzusprechen. Wegen lückenhafter Zähne im Oberkiefer muß sie eine Teilprothese tragen. Deswegen scheint sie Probleme mit der Spucke zu haben, die sie schnalzend, schlürfend und schmatzend aus den Tiefen ihrer Mundhöhle zusammenzieht und deutlich vernehmbar wegschluckt.
Über andere Schrullen kann ich wenigstens offen reden, und inzwischen weiß sie auch, daß ich es nicht mag, wenn ihr Radio ständig dudelt. Meistens nimmt sie jetzt Rücksicht auf mich, wenn ich aber in meinen eigenen Räumen bin, dreht sie auf Diskolautstärke; ich kann mich nur wundern, warum sich die Nachbarn noch nie beschwert haben. Anneliese kann es dagegen nicht leiden, daß ich mich so leise durch das Haus bewege. Sie fährt immer zusammen, wenn ich vor ihr auftauche.
»Du hast mich fast zu Tode erschreckt!« wirft sie mir vor, und an mein hinterhältiges Anschleichen könne man sich nie gewöhnen. Soll ich mir deswegen Holzschuhe zulegen? Mag sein, daß wir beide leicht skurrile Gewohnheiten angenommen haben, die nicht mehr so recht kompatibel sind. Doch wir haben es im Laufe unseres Lebens gelernt, allein zurechtzukommen, und es ist Platz genug, um sich nach Belieben auszuweichen. Wie machen das wohl jene Leute, die sich in höherem Alter noch einmal verlieben und womöglich nach langer Abstinenz wieder in einem Doppelbett schlafen?
Wie komme ich eigentlich auf solche Gedanken? Vielleicht, weil sich Ewald heute schon wieder angemeldet hat. Anneliese und ich haben herumgerätselt, warum er seine Frau nicht einfach in der Obhut der Ärzte läßt und zurück nach Hause fährt. Aber er scheint finanziell ganz gut gestellt zu sein und kann sich sogar ein nobles Hotel in Heidelberg leisten.
Als wir am Nachmittag mit Ewald im Garten sitzen, spricht ihn Anneliese direkt darauf an.
»Zu Hause fiele mir die Decke auf den Kopf«, sagt er. »Hier habe ich zwei charmante Gesellschafterinnen und fühle mich in meine Jugendzeit versetzt. Oder gehe ich euch bereits auf die Nerven?«
Wir beeilen uns, das Gegenteil zu versichern. Als sein Handy klingelt, entschuldigt er sich, bevor er das Gespräch annimmt. Es ist seine Frau, mutmaße ich. Ewald steht auf und geht ein paar Schritte in den Garten hinein. Allmählich finde ich auch, daß er sehr gut aussieht.
Anneliese und ich tun zwar so, als würden wir nicht lauschen, aber wir spitzen doch beide die Ohren. Sein Ton ist nicht gerade von überwältigender Freundlichkeit, aber immerhin verstehe ich so etwas wie Spatz . Udo hatte zum Glück keine Kosenamen für mich, bloß in ganz jungen Jahren hat er mich manchmal Liebchen genannt, denn er stammte aus dem Rheinland. Ob er seine zweite Frau nun auch so anredet? Obwohl ich Udo auf keinen Fall zurückhaben möchte, bekomme ich bei dieser Vorstellung fast Magenkrämpfe.
Ewald beendet das Gespräch, steckt das Handy ein und setzt sich mit mißmutigem Gesicht wieder auf seinen Platz.
»Schlechte Nachrichten?« fragt Anneliese.
»Manchmal ist es zum Heulen«, sagt er, »Bernadette …«
»Wer?« fragen Anneliese und ich wie aus einem Mund.
»Meine Frau heißt Bernadette«, sagt er, »nach der Heiligen von Lourdes. Ein so edler Name hat mich damals gleich fasziniert.«
»Geht es ihr wieder schlechter?« fragt Anneliese mit geheuchelter Anteilnahme.
»Schwer zu sagen. Bei Bernadette bin ich mir nie sicher. Sie war schon immer wehleidig, hat aber auch starke Schmerzen. Gegen die vielen Medikamente scheint sie weitgehend immun geworden zu sein …« Ewald bricht ab und schaut mit düsterem Blick in die Tiefe des Gartens.
»Wie lange hat es eigentlich nicht geregnet?« fragt er schließlich. »Euer Kirschbaum kriegt mitten im Sommer
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