Ladylike
unsere Neugier befriedigt. Aus dem Auto steigt eine kleine und extrem dünne Person, die wir vom Flurfenster aus genau taxieren. Bernadette ist das schiere Gegenteil von Anneliese, mag sein, daß Ewald deswegen Appetit auf einen kompakten Brocken bekommen hat.
Fürs erste begnügen wir uns mit Small talk. Bernadette antwortet auf unsere Frage, daß sie mit der Privatklinik relativ zufrieden sei und daher den Aufenthalt verlängern möchte.
»Leider muß ich es selbst bezahlen, die Krankenkasse hat die Kostenübernahme abgelehnt. Doch was würde man nicht für die eigene Gesundheit tun!«
»Alles, Spatz, alles!« sagt Ewald.
Diesmal gibt es eine köstliche Käsesahnetorte, aber Bernadette rührt nichts an. Auch den Kaffee verschmäht sie, denn sie sei nun mal überzeugte Teetrinkerin. Aber bitte keinen schwarzen Tee, sondern Pfefferminz oder Kamille.
Gehorsam bringt Anneliese das Gewünschte auf den Tisch und die Rede auf unsere Jugendzeit. Wir erfahren, daß Bernadette ein ganzes Ende jünger ist als wir. Doch bedingt durch ihre schwere Krankheit, sieht sie nicht wie eine guterhaltene Mittsechzigerin, sondern eher wie das Leiden Christi aus. Ich starre auf ihre knochigen Finger, auf den klobigen Siegelring, der sich bei jeder Bewegung verdreht und zurechtgerückt werden muß, auf die vielen Altersflecken am Handrücken, auf ihre müde, ja gelangweilte Miene. Bernadette trägt ein malvenfarbiges Twinset und viel zu weite, beige Hosen. Es scheint so, als habe sie erst vor kurzem stark abgenommen. Ihre Stimme ist rauh und klingt ein klein wenig versoffen. Vielleicht hat sie ein Alkoholproblem.
Ewald kannte seine Frau noch lange nicht, als er mit uns die Tanzstunde besuchte. Bei gemeinsamen Erinnerungen gerät er ins Schwärmen, wie sanft man damals zu sentimentalen Melodien Wange an Wange dahingleiten konnte. Er sehe mich in meinem verführerisch schwingenden Rock direkt vor sich. Bernadette hört kaum zu und ist mit ihren Gedanken ganz woanders. Ob sie unter Medikamenten steht oder immer eine so trübe Tasse ist? Mühsam versuche ich, sie ins Gespräch einzubeziehen.
Erst lange nach uns lernte Bernadette das Tanzen, aber immerhin zehn Jahre vor der Ära Minirock; sie erinnert sich gerade noch an Caterina Valente und den Schlager Ganz Paris träumt von der Liebe.
»Diese unsäglichen Schnulzen haben mir schon als Kind nicht gefallen«, sagt sie. »Ich habe immer davon geträumt, Pianistin zu werden. Doch diesen Wunsch habe ich meinem Mann zuliebe aufgegeben.«
»Leider bin ich ein schrecklicher Banause«, klagt Ewald, »und gerade die gefühlvollen Schmachtfetzen höre ich immer wieder gern! Bernadette hätte einen musikalischeren Mann verdient, aber sie hat in diesem Punkt wirklich Pech gehabt.«
»Welche Musik bevorzugen Sie denn?« frage ich.
Wir erfahren, daß sie in den letzten Monaten nur eine ganz bestimmte Bach-Kantate hören mag, von der sie sieben verschiedene Einspielungen besitzt.
Anneliese ist ein wenig stiller geworden. Ich bin mir sicher, daß heute das Lied vom Borstenvieh und Schweinespeck nicht zur Aufführung kommt.
»Um welche Kantate handelt es sich?« fragt sie mit gekünsteltem Interesse.
Bernadette erwacht aus ihrer bisherigen Lethargie.
»Wenn man so leidet wie ich, ist nur ein einziges Thema angemessen«, sagt sie und krächzt: »Ich habe genug.«
Ich empfinde fast Sympathie für die depressive Bernadette. Im Gegensatz zu Anneliese werde auch ich gelegentlich von Todessehnsucht heimgesucht und habe mir in schwermütigen Stunden die gleichen Arien angehört. Und ich zitiere jene Zeile, die mich immer getröstet hat: » Schlummert ein, ihr matten Augen, fallet sanft und selig zu!«
Bernadette nickt anerkennend. »Am liebsten mag ich aber die 5. Arie«, sagt sie – ausschließlich zu mir – und raunt mit brüchiger Stimme: »Ich freue mich auf meinen Tod! Ach, hätt’ er sich schon eingefunden!«
Bei Bernadettes makabrem Einsatz erhasche ich einen Seitenblick von Anneliese, der so schräg und perfide ist, daß ich fast erschrecke.
Anneliese ist es, die schließlich das düstere Thema beendet und die Rede auf das Leben und leider auf die Enkelkinder bringt. Ich sage leider, weil ich ihre Angeberei mit den süßen Kleinen nicht ertrage. Ich selbst kann mit Christians verwöhnten Söhnen, die bloß Forderungen an mich stellen, wenig anfangen. Aber nun ist nichts mehr zu machen, Anneliese rennt ins Haus, um Fotos zu holen. Bei ihren vier Kindern ist es nicht
Weitere Kostenlose Bücher