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Ladylike

Ladylike

Titel: Ladylike Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Noll
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verwunderlich, daß sie die meisten Enkel hat, wenn auch die älteste Tochter und ein Sohn ledig und kinderlos geblieben sind.
    Selbst Bernadette kramt ihre Brille und natürlich ein Foto heraus. Ihre einzige Enkelin ist eine ernste Prinzessin von etwa fünf Jahren. Nun übertrumpfen sich die Großmütter.
    Ewald blickt zu mir herüber. »Und du?« fragt er.
    »Zwei Jungen«, sage ich kurz, »aber ich mag jetzt nicht nach Fotos suchen.«
    Er lächelt mich an. »Kann ich gut verstehen«, sagt er, »komm, zeig mir mal dein Lieblingsplätzchen!«
    Wir stehen auf, wandern über den Rasen und setzen uns unter den Kirschbaum.
    »Bernadette muß bald zurückgefahren werden, sie sollte zum Essen wieder in der Klinik sein«, sagt er. »Ich hoffe, es ist dir recht, wenn ich morgen mit meinem Koffer bei euch anrücke!«
    Zum zweiten Mal sehen wir uns eine Sekunde zu lange in die Augen, ich schüttle den Kopf. »Wir haben doch Platz genug«, sage ich matt.
     
    Kaum sind unsere Gäste außer Sichtweite, fragen Anneliese und ich gleichzeitig: »Wie findest du denn die?«
    Wir müssen kichern und können uns die Antwort sparen.
    »Hat er eigentlich einen teuren Wagen, Lore?« erkundigt sich Anneliese, die von Autos nichts versteht.
    »Kannst beruhigt sein«, antworte ich, »kein Protz, solide Mittelklasse.«
    »Ich hätte gar nichts gegen Protz«, sagt sie. »Sieh mal, sie hat ihre Handtasche vergessen!«
    Anneliese stürzt sich darauf und breitet den Inhalt auf der Gartenbank aus. Die Lesebrille und das Foto kennen wir bereits.
    Anneliese kramt weiter. Kreditkarten, ein Notizbuch, ein Füllfederhalter, eine Pillendose mit Inhalt, Lippenstift, Spiegel, ein besticktes Taschentuch, ein Portemonnaie mit reichlich Bargeld, ein Schlüsselbund und ein Handy werden zutage gefördert. Eigentlich hat jede Frau den gleichen Kram in ihrer Tasche.
    »Führerschein?« frage ich. Anneliese schüttelt den Kopf und blättert das Notizbüchlein durch. Mir gefällt die Szene nicht. Ob Anneliese ähnlich schamlos in meinen Schubladen schnüffelt, wenn ich nicht zu Hause bin? Im Grunde haben wir ja keine Geheimnisse voreinander, aber es geht ums Prinzip.
    Anneliese findet auch ein Foto von Ewald, betrachtet es eingehend und hält es mir unter die Nase.
    »Gefällt er dir nicht mittlerweile auch?« fragt sie mit einem Anflug von Besitzerstolz und stopft Bernadettes Sachen wieder in die Handtasche zurück. »Der Vergleich mit John Wayne war vielleicht zu oberflächlich, gerade entdecke ich etwas Faustisches, in seinem Antlitz.«
    »Seine Frau ist krank«, sage ich, »schon aus weiblicher Solidarität finde ich es nicht in Ordnung, wenn du sie austrickst und dich Ewald an den Hals wirfst!«
    »Tu ich doch gar nicht! Im übrigen mag er dich im Grunde lieber als mich«, versichert Anneliese treuherzig. Von der Gartenarbeit hat sie einen gebräunten Teint, ihre blauen Augen leuchten mit den Smaragd-Ohrgehängen um die Wette. Heute trägt sie zur Feier des Tages ein schwarzgrundiges Dirndl mit einem Muster aus rosa Streublümchen. Der Ausschnitt ist keck und bringt den sommersprossigen und leicht knittrigen Busenansatz voll zur Geltung. Ich muß zugeben, daß Anneliese gut darin aussieht. Sie ist ein Naturkind, das wohl schon in jungen Jahren geringere Hemmungen hatte als ich. Ob Ewald das aus eigener Erfahrung weiß? Er trug heute eine Lederweste über dem blaukarierten Hemd und paßte schon optisch besser zu Anneliese als zu seiner bleichen Gattin. Das wird ja das reinste Melodram, denke ich: Luis Trenker und die Geierwally.
     
    Während Anneliese die Küche aufräumt, schneide ich im Garten einen Blumenstrauß für mein Wohnzimmer. Auf keinen Fall will ich in den kommenden Tagen einen Logenplatz haben, wenn die liebestollen Alten ihr Bauerntheater aufführen. Ich muß meinen Privatbereich schützen. In den unteren Räumen könnte ich mich schon bald als Störenfried fühlen. Die gelben englischen Rosen haben es mir angetan, weil sie einen hauchzarten Duft verströmen. Ich stelle sie in eine barocke Silbervase, die noch aus meinem Laden stammt, und bin froh und dankbar, daß ich diesen Abend ganz allein am offenen Fenster verbringe und zuschaue, wie es langsam dunkel wird. Von unten tönt keine Musik zu mir herauf.
    Vor dem Einschlafen kommt mir noch einmal die Bach-Kantate in den Sinn, und ich flüstere: »Süßer Friede, stille Ruh.«
     
    Am nächsten Tag geht es mit der stillen Ruh abrupt zu Ende. Schon um elf klingelt Ewald Sturm und bringt sein

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