Ladylike
seine Jacke ausgezogen und schwitzt aus allen Poren. Es sieht so aus, als ob alle beide einen Herzinfarkt ansteuern. Wie oft haben sie ihren Seniorensport wohl schon betrieben, wenn ich nicht zugegen war? Und kommt das beiderseitige Keuchen wirklich bloß vom Tanzen?
Schließlich entdeckt mich Anneliese, läßt sich schnaufend auf einen Stuhl plumpsen und japst: »Jetzt ist Lore dran, ich kann nicht mehr!«
Der schweißgebadete Ewald, dem das Hemd aus der Hose hängt, zieht mich übermütig auf die Tanzfläche und befiehlt: »Keine Widerrede!«
Aber ich will nicht, reiße mich los und verlasse den Raum.
»Störrisch wie ein Maulesel«, ruft mir Ewald hinterher. Noch oben in meinem Zimmer dröhnt mir nicht nur die Musik, sondern auch sein schallendes Gelächter in den Ohren.
Wieder einmal versuche ich, meine Gefühle für Ewald zu analysieren. Bilde ich es mir nur ein, daß ich einen starken Eindruck auf ihn mache? Daß er sich ernsthafter mit mir unterhält als mit Anneliese? Daß er immer wieder anstrebt, gleicher Meinung mit mir zu sein, mir zu gefallen, mir das Gefühl zu geben, wir beide seien eine verschworene Einheit? Nie hat er versucht, mich absichtlich oder wie aus Versehen zu berühren – bedeutet das Respekt oder Distanz?
Kurz nach der wilden Tanzerei wird unten die Musik abgestellt. Beim Abendessen lasse ich mir nicht anmerken, wie zurückgesetzt ich mich fühle.
Nach seiner Rückkehr aus der Klinik kommt mir Ewald auffallend still und nachdenklich vor. Irgend etwas muß vorgefallen sein, was ihn bedrückt.
Schon bald folgt die Erklärung: »Entschuldigt bitte, wenn ich etwas sehr Persönliches anspreche«, beginnt er, »aber ich möchte euch um Rat fragen. Es ist etwas Unerwartetes geschehen.«
»Nein, bitte keine Butter«, sagt Anneliese leise zu mir, »ich habe beschlossen, nur noch Tomatenmark aufs Brot zu kratzen; vielleicht gelingt es mir endlich, ein wenig abzunehmen.«
Hat sie überhaupt kapiert, was Ewald gerade angedeutet hat? Mir bleibt fast das Herz stehen. Aber es kommt anders als gedacht.
Etwas stockend beginnt Ewald zu berichten: »Es gibt einen Grund, warum Bernadette länger als geplant in der Klinik bleiben will. Ihr werdet es nicht glauben, aber meine Frau hat sich in einen Mitpatienten verliebt.«
Anneliese zuckt zusammen und greift ganz automatisch zur Butter. Genau wie ich jubelt sie aber nicht lauthals los, sondern setzt ein besorgtes Gesicht auf und schaut Ewald forschend an.
Schließlich frage ich, was das für ein Mann sei, den seine Frau sich auserkoren habe.
Er sei Organist und teile ihre Liebe zu Bach-Kantaten. »Aber er ist auch nur Haut und Knochen …«
Zum ersten Mal hören wir so etwas wie deutliche Kritik.
»Wie alt ist er denn?« fragt Anneliese.
Ewald zuckt mit den Schultern. Vielleicht etwas jünger als Bernadette und ebenfalls verheiratet.
»Woher weißt du von ihrer Affäre?« frage ich. »Hat sie es dir selbst gesagt?«
Die Oberärztin habe ihm einen Wink gegeben. Wir können immer noch nicht klar erkennen, wie sehr diese Geschichte seine Eitelkeit verletzt.
Beinahe will ich herausposaunen, daß er jetzt die beste Chance hat, seine Alte auf elegante Weise loszuwerden. Aber er soll bloß nicht auf die Idee kommen, daß ich ein persönliches Interesse an einer Trennung hätte, deswegen frage ich mit teilnahmsvoller Stimme: »Will sie sich etwa scheiden lassen?«
Ewald zuckt nervös mit den Schultern. Auf seiner Stirn bilden sich steile Falten, er zerknüllt seine Serviette und läßt sie in den halbvollen Suppenteller fallen, tritt unterm Tisch einmal mich und zweimal Anneliese. Dann entlädt sich endlich sein Zorn: »Das ist doch nicht normal«, brüllt er, »wenn zwei Suchtkranke im Aufenthaltsraum Händchen halten! Ärzte, Pfleger und Schwestern spotten nur noch. Ich schäme mich in Grund und Boden!«
Bisher hatte ich angenommen, daß Ewalds Frau dem Alkohol verfallen sei, doch mein Verdacht wird nicht bestätigt. Bernadette ist medikamentenabhängig und konsumiert Tranquilizer im Übermaß. Sie macht im Augenblick nichts anderes als eine Entziehungskur.
»Geht es Bernadette denn gesundheitlich besser?« fragt Anneliese. »Liebe soll doch manchmal Wunder wirken.«
Ewald will davon nichts hören.
»Laß dich scheiden«, empfehle ich jetzt doch. »Ich habe die Erfahrung gemacht, daß man nach einer gewissen Zeit besser klarkommt als zuvor.«
»Das kann ich mir nicht leisten«, sagt Ewald, »meine kümmerliche Rente könnt ihr
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