Ladylike
erfuhr.
Noch während ich die Züge meiner Freundin aufmerksam betrachte, wird sie wach und schaut mir direkt in die Augen.
»Das ist nicht fair«, sagt sie und grinst. »Schlafende darf man nicht beobachten, sie sind wehrlos.«
»Vor mir hast du doch nichts zu verbergen«, sage ich. »Willst du jetzt probeweise mal aufstehen? Für einen Museumsbesuch bist du wohl noch zu wackelig. Aber wir müssen allmählich entscheiden, ob wir dieses Zimmer eine weitere Nacht behalten oder morgen wie geplant weiterreisen.«
Nach einer Viertelstunde ist Anneliese gewaschen, gekämmt und violett angezogen und will mich ein Stückchen an die frische Luft begleiten. Und bei der Gelegenheit ein Handy kaufen.
»Warum denn das? Wir sind bis jetzt bestens ohne diese Landplage ausgekommen!« sage ich, aber ahne sofort, daß Anneliese für Ewald erreichbar sein möchte.
Sie hat auch gleich eine Ausrede parat. »Stell dir vor, ich werde ohnmächtig und brauche dringend einen Arzt, oder wir haben eine Autopanne! In den Hotels gibt es zwar immer einen Anschluß, aber wir sind ja meistens unterwegs!«
Unsere mittellosen Studenten haben selbstverständlich beide ein Handy. Dunkel erinnere ich mich, daß sogar mein zehnjähriger Enkel so ein Ding besitzt. Manchmal komme ich mir vor wie eine Greisin, und deshalb sage ich plötzlich: »Ich kaufe mir auch eins.«
Schon nach wenigen Schritten kommen wir an einem Schaufenster mit Süßigkeiten vorbei. Anneliese bleibt stehen, und ich versuche vergeblich, sie weiterzuzerren.
»Sei doch vernünftig«, flehe ich, »Zwieback und Tomatensuppe lasse ich ja noch gelten, aber Marzipanschweine sind erst an Silvester wieder fällig!«
Sie protestiert. »Ich will doch gar nichts kaufen. Aber schau mal, hier gibt es Hershey’s!«
Tatsächlich: Da liegt diese Schokolade in der klassischen dunkelbraunen Verpackung, die in uns beiden Erinnerungen weckt.
Der erste Amerikaner, mit dem Anneliese nach Kriegsende anbändelte, stand am Straßenrand und füllte Benzin in seinen Jeep. Sie lächelte ihn an und sagte mutig: »How do you do?« , während ich mich genierte und ein bißchen fürchtete. Doch der Soldat amüsierte sich offensichtlich, zog sie zum Spaß an ihren blonden Zöpfen und nannte sie sweet little Fraulein , griff aber dann in seine Brusttasche und schenkte uns je eine kleine lauwarme Tafel Hershey’s. Diese Gabe war so unerhört, so vielversprechend, so paradiesisch, daß wir es kaum fassen konnten und fortan eine hohe Meinung von allen Amerikanern hatten. Später kamen Kaugummis und Glenn Miller als weitere Favoriten und als Beweis für Amerikas grenzenlose Möglichkeiten hinzu. Im übrigen war Anneliese äußerst lernfähig und erwies sich bald als Meisterin im Betteln. Gemeinsam haben wir noch so manchen GI um seine süßen Vorräte erleichtert.
Als könne sie meine Gedanken lesen, summt Anneliese In the mood und denkt dabei wahrscheinlich an Ewald, die Tanzstunde und seine quietschenden Kreppsohlen.
Als wir schließlich bei einem sogenannten Electronic-Shop ankommen, studieren wir etwas ratlos die Riesenauswahl an Handys. Eines erinnert mit seiner schönen Farbe an den Blautopf, und ich beschließe es zu kaufen.
»Bist du verrückt?« fragt Anneliese. »Es kostet 459 Euro! Sie haben anscheinend auch Gratis-Handys ohne Grund- und Anschlußgebühr!«
»Da ist sicher ein Haken dabei«, sage ich, »wenn überhaupt, dann das blaue! Ich war schon immer für Qualität.«
»Okay«, sagt Anneliese, »tu, was du nicht lassen kannst, aber diese Beutelschneider verdienen sich dumm und dusselig an dir. Zur Strafe werde ich meines einfach mitgehen lassen, es heißt ja schließlich Gratis-Handy.«
Wir verlassen den Laden mit dem teuren Blautopf und einem zweiten, unbemerkt eingesackten Telefon für Anneliese. Ihre Riesentasche hat wieder einmal gute Dienste geleistet, und meine Theorie von der Unsichtbarkeit alter Frauen hat sich abermals bestätigt.
Trotzdem muß ich Anneliese ein bißchen ärgern. »Der liebe Gott sieht alles«, sage ich, bevor wir uns trennen.
Sie bekreuzigt sich und geht mit ihrer Beute ins Hotel zurück. Ich schlendere noch zum Augustinerplatz und setze mich in die Sonne. Um mich herum wird viel Französisch gesprochen, auf den Treppenstufen lagern überall Studenten, und ich genieße das Leben, als wäre ich selbst noch einmal jung.
Abends sitzen wir wieder alle vier im Restaurant und studieren die Speisekarte.
»Anneliese darf heute nur eine kleine
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