Ladylike
ein bißchen fasten und pennen. Aber vielleicht könntest du mir zum Mittagessen einen trockenen Zwieback besorgen!«
18
Unser Bummel durch die historische Altstadt mit den vielen munteren Bächle ist eine reine Freude. Meine Begleiter ziehen ihre Sandalen aus und staksen eine Weile wie Störche durch das klare Wasser. Weil meine Beine langsam müde werden und es Zeit für eine Mittagspause wird, verabschiede ich mich schließlich und gebe ihnen für den Nachmittag frei.
»Man müßte sich Fahrräder leihen«, sagt Ricarda und blickt neidisch auf andere Studenten, die hurtig an uns vorbeiflitzen. Mein Auto kriegen sie jedenfalls nicht, es steht in der Hotelgarage, und ich verwahre die Wagenschlüssel in meiner Handtasche.
Ich besorge noch eine Packung Zwieback und begebe mich ins Hotel, um nach Anneliese zu schauen.
Sie liegt zwar im Bett, hat aber den Vormittag anscheinend nicht mit Schlafen verbracht.
»Ich war auch nicht untätig«, sagt sie stolz und läßt beim Knabbern die bräunlichen Krümel in ihren Ausschnitt und das Hotelbett rieseln, »gerade habe ich bei Ewald zu Hause angerufen. Denk mal, er hatte sich kurz vor meinem Anruf bei seinen Kindern gemeldet und ist jetzt im Anmarsch. Schade, daß ich ihn nicht selbst erwischt habe!«
»Und? Wo war er die ganze Zeit? Hast du mit John Waynes prächtigem Sohn oder mit der Tochter gesprochen?«
Anneliese greift zum Zerstäuber und sprüht sich mit Parfum ein, auch der Zwieback wird versehentlich eingenebelt. Die Aussicht, demnächst mit Ewald wieder Kontakt aufnehmen zu können, scheint sie trotz gegenteiliger Versicherungen zu beflügeln. Es duftet jetzt im ganzen Raum nach Maiglöckchen, und das weckt Frühlingsgefühle.
»Am Apparat war die verstörte Tochter. Ich wollte die Arme ja nicht so plump aushorchen und habe nur gefragt, wo sich ihr Vater herumgetrieben hat. In Italien, meinte sie, aber das wissen wir selbst.«
Immerhin ließ Anneliese Grüße an Ewald ausrichten. Wir seien zur Zeit auf Reisen und zu Hause in Schwetzingen nicht zu erreichen.
»Wenn ich ihn persönlich und ohne Zeugen sprechen könnte«, sagt Anneliese, »dann würde ich ihm gewaltig den Marsch blasen!«
»Aber was willst du ihm eigentlich vorwerfen? Er hat dir weder die Ehe versprochen noch lebenslängliche Treue. Wir haben ihn auch nie gefragt, wohin er abends gegangen ist. Ehrlicherweise kann man ihm nicht nachsagen, daß er uns belogen hat.«
Anneliese behauptet, daß er sich eingeschleimt, uns ausgenutzt und diffuse Hoffnungen geweckt habe. Und daß sie ihm nie bei der Lösung seiner Eheprobleme geholfen hätte, wenn sie von Yola gewußt hätte.
Bald liege ich neben ihr, und wir geben uns beide einem wohligen Mittagsschläfchen hin. Anneliese will am Nachmittag probeweise das Bett verlassen und am Abend ein Süppchen essen.
»Vielleicht Tomatencreme, das tut meinem leeren Magen bestimmt gut!«
Wie meistens bei meiner Siesta werde ich nach zwanzig Minuten wieder wach. Neben mir liegt die schlafende Anneliese, und ich kann ihr entspanntes Gesicht aus nächster Nähe betrachten. Warum finden wir eigentlich ein altes ländliches Haus so schön, frage ich mich, seine ausgetretenen Steinstufen, verwitterten Schlagläden, das verrostete Schloß und den verwilderten Garten? Wohl weil dieses Haus ein Geheimnis bewahrt, Geschichten erzählt und die Ästhetik des schleichenden Verfalls unsere Seele berührt.
Auch Annelieses Züge erzählen Geschichten und stimmen mich traurig und leicht sentimental. Was war sie einmal für ein hübsches Kind! Unter allen Falten und Runzeln schlummert immer noch das vertraute Mädchengesicht.
Auf ihren Wangen erkenne ich die Grübchen eines fröhlichen Kindes. Und wenn sie lacht, verschwinden die scharfen Züge um die Mundwinkel und unter den Nasenflügeln. Sogar aus den Krähenfüßen werden Lachfältchen. Alles, was sie erlebte, hat sich in ihre Züge eingeprägt: Weinen, Lachen, Trauer, Freude, Schwangerschaften, Geburten, Abschiednehmen, erfüllte und zerschlagene Hoffnungen. Müßte ein Mann mit Herz und Verstand ein solches Frauengesicht nicht ebenso lieben wie eines, das glatt ist wie ein Kinderpopo? Oder hat Anneliese recht, daß Männer ausschließlich auf Reproduktion programmiert sind und gar nicht anders können? Und doch hat Anneliese ihren Ewald noch längst nicht abgeschrieben, sonst würde sie ihm seinen Honeymoon in Ligurien nicht so verübeln. Auch wurde sie gleich wieder munter, als sie von seiner Rückkehr
Weitere Kostenlose Bücher