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Ladylike

Ladylike

Titel: Ladylike Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Noll
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Todesangst, daß man mit einer Zeugin ebenfalls kurzen Prozeß machen würde.
    Meine Freundin bricht in Tränen aus, und ich muß sie aufs Zimmer bringen. Sechzig Jahre lang hat sie nicht darüber sprechen können.
     
    Mitten in der Nacht werde ich von einem Stöhnen geweckt, Anneliese scheint Alpträume zu haben.
    Ich knipse das Lämpchen an und reibe mir die Augen. »Wach auf«, sage ich und streiche ihr sanft über die Schulter, »das ist alles schon sehr lange her. Du brauchst dich für diesen Mord nicht verantwortlich zu fühlen, du warst doch noch ein Kind!«
    »Meine Galle! Ich glaube, ich muß sterben!« wimmert Anneliese.
    Ziemlich ratlos überlege ich, was man bei einer so heftigen Schmerzattacke unternehmen muß. Da kann wohl nur ein Profi helfen.
    Doch als ich zum Hörer greifen will, raunzt sie mich an: »Halt, stop! Nicht gleich den Arzt alarmieren! Ich habe zum Glück Buscopan eingepackt, die Zäpfchen wirken fast so schnell wie eine Spritze. Schaust du mal in dem roten Lederkästchen nach?«
    Ich muß ein bißchen wühlen, um in Annelieses Koffer fündig zu werden. Unter ihrem neuen Sommerkleid liegen die beiden Blechdosen. Auf dem einen Etikett steht Kamille , auf dem anderen Pfefferminze . Ich muß ein wenig lächeln, denn ich wäre nicht im Traum auf die Idee gekommen, Kräutertee aus eigenem Anbau auf die Reise mitzunehmen.
    Um das bewußte Kästchen ist eine fliederfarbene Strickjacke gewickelt. Anneliese hat sich mit allen möglichen Medikamenten eingedeckt, wahrscheinlich fühlt sie sich als Kräuterhexe auch für mich und unsere Crew zuständig.
    »Hier hast du dein Zäpfchen! Ich könnte dir außerdem einen Tee aufbrühen, zum Glück steht ein Schnellkocher im Schrank. Deine Kamille kommt wie gerufen!«
    Anneliese richtet sich auf und wirkt plötzlich sehr angespannt. »Finger weg von diesem Tee!« schnauzt sie. »Leg dich wieder hin, mir geht es bestimmt bald besser.«
    Tatsächlich ist nach zehn Minuten kein Stöhnen, sondern ein gleichmäßig fauchendes Atemgeräusch zu hören.
    Ich aber bin völlig verunsichert. War es eine Gallenkolik oder nicht? Und wenn, ist das lebensgefährlich? Aber ich habe wenig Lust, mich mitten in der Nacht und in einer fremden Stadt um einen Notarzt zu bemühen. Nach dem guten Essen und Trinken bin ich todmüde, und Anneliese wird schon wissen, was ihr am besten hilft. Nach einer halben Stunde nicke ich ein und wache erst spät wieder auf.
     
    Als ich ins Badezimmer schleiche, schlummert die Patientin noch tief und fest. Ob sie wieder gesund ist und man heute gemeinsam etwas unternehmen kann? Sie soll erst einmal ausschlafen.
    Moritz und Ricarda sitzen bereits beim Frühstück und haben Lachs, Rührei und knusprigen Speck auf ihre Teller gehäuft. Ich trinke ein Glas Orangensaft und erzähle von Annelieses Mißgeschick.
    Die angehenden Tierärzte sind der Ansicht, das sei kein Wunder. »Die Arme, sie hat sich gestern abend maßlos aufgeregt!« sagt Moritz.
    »Und was die alles gefuttert hat!« meint Ricarda, die bis auf ihren Bizeps ein zierliches Persönchen ist. »Und das bei bekannter Cholelithiasis! Zweimal Kastanienpüree und die vielen Steinpilze, das haut doch einen Herkules vom Sockel.«
    »Aber es war ja auch lecker«, schwärmt Moritz. »Ich würde für mein Leben gern mal zuschauen, wie in so einer Schlemmerküche gekocht wird und wie sie es schaffen, alles gleichzeitig auf den Tisch zu bringen.«
    Sicher haben sie Geräte, von denen wir noch nicht einmal den Namen kennen. In der Küche gibt es jede Menge Tricks. Meine Mutter besaß zum Beispiel eine Kochkiste. Die jungen Leute haben keine Ahnung, was das für ein Ding sein soll.
    Meistens hatte man dieses simple Hilfsmittel selbst hergestellt. Dazu brauchte man eine fest schließende Kiste, die mit Holzwolle, Zeitungspapier und Lappen gut ausgepolstert wurde; unter den Deckel nagelte man ein Kissen. Dann kam die Präzisionsarbeit, denn der Emailkochtopf mußte haargenau in den ausgesparten Raum eingepaßt werden.
    »Also nach dem Prinzip einer Thermoskanne«, sagt Moritz, »isolieren und warmhalten leuchtet mir zwar ein, aber kochen?«
    Doch, langsames Garen war ja Sinn der Sache. Wenn man zum Beispiel Reis mit Rindfleisch oder Erbsensuppe am Abend auf dem Herd kurz aufkochen ließ, konnte man das Gericht über Nacht in die Kiste stellen und hatte am nächsten Tag einen fertigen Eintopf, ohne dabei Energie zu verbrauchen.
    »Für umweltbewußte Hausfrauen wäre das heute noch eine preiswerte

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