Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ladylike

Ladylike

Titel: Ladylike Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Noll
Vom Netzwerk:
wollt doch Tierärzte werden«, sagt Anneliese, »vielleicht könnt ihr einen Blick in die Ställe erhaschen …«
    Moritz zieht einen Flunsch. Wir erfahren, daß sich die beiden eine gemeinsame Kleintierpraxis in Berlin-Dahlem als Berufsziel gesetzt haben und auf keinen Fall morgens um fünf mit dem Landrover losrumpeln wollen, um glitschige Kälber auf die Welt zu holen. Zur Not käme aber auch eine Orang-Utan-Aufzuchtstation auf Borneo in Frage.
     
    Am Abend sitzen wir, wie von Anneliese verordnet, tatsächlich in einem behaglichen Landgasthof. Die Speisekarte besteht aus Variationen vom Schwein. Moritz bestellt ein ordinäres Jägerschnitzel, das mit grauen Dosenchampignons in dicker brauner Soße schwimmt, Anneliese ein Schnitzel Holstein mit Ölsardinen und Spiegelei, Ricarda eines mit Curryketchup und ich ein überbackenes Schnitzel nach Schweizer Art. Die Wirtin stellt noch zwei Schüsseln mit Fritten und grünem Salat auf den Tisch und wünscht guten Appetit. Das Kontrastprogramm ist gelungen und gar nicht übel.
    Da es hier so billig ist, will ich für Anneliese und mich je ein Einzelzimmer ordern, aber es gibt nur zwei freie Doppelzimmer. Die Rekonvaleszentin hat diesmal zwar kein Dessert verspeist, aber mir ist trotzdem nicht ganz wohl bei ihrer Riesenportion. Gleich nach dem Essen scheint sie müde zu werden und begibt sich nach oben. Ich trinke mit den Studenten noch einen Absacker.
     
    Als ich eine halbe Stunde später vor unserer Zimmertür stehe, höre ich Anneliese sprechen. Natürlich bleibe ich erst einmal stehen und spitze die Ohren. Mit wem redet sie wohl?
    »Hast du einen Bleistift? Schreib dir für alle Fälle meine Handynummer auf …« Offenkundig hat sie uns nur verlassen, um heimlich mit Ewald zu telefonieren.
    Als ich Schritte im Flur höre, schlüpfe ich schnell hinein. Es wäre entwürdigend, wenn mich unsere braven Fahrer als Lauscher an der Wand entlarven würden. Anneliese schaut hoch und verabschiedet sich schnell.
    »Hast du ihn erreicht?« frage ich.
    Zum Glück flüchtet sie sich nicht in Lügengeschichten, sondern nickt. »Er saß aber leider im Wohnzimmer, umgeben von Sohn, Tochter und Schwiegertochter. Da kann man nur in aller Eile zum Ableben der Gattin gratulieren. Hoffentlich ruft er mich in einem ungestörten Moment zurück.«
    Kaum bin ich im Bad und creme mich ein, als schon getragene Musik ertönt. Anneliese hat als Klingelton die Nationalhymne der ehemaligen DDR gewählt: Auferstanden aus Ruinen . Sie erklärte mir ihre extravagante Wahl nicht etwa mit einem nostalgischen Hang zum früheren Arbeiter- und Bauernstaat, sondern als hoffnungsvolles Sinnbild für ihre eigene Situation.
    Abrupt beende ich meine abendliche Toilette und betrete das Schlafzimmer. Kein Wort soll mir entgehen, wenn Anneliese dem treulosen Freund die Leviten liest. Davon ist aber nicht die Rede.
    »Keine Sorge, die Polizei hat nur die Arzneimittel mitgenommen, die beiden Teedosen habe ich persönlich entfernt«, beteuert sie und nickt immer wieder bestätigend, als könne Ewald sie sehen.
    »Ich denke, morgen nachmittag«, sagt sie schließlich, »unser Hotel in Kampen liegt angeblich ganz nah am Strand. Hast du die Adresse notiert? Alles klar? Bis dann!«
    »Was ist denn nun mit Ewald?« frage ich.
    Anneliese wischt sich energisch die Tränen ab. »Er fliegt übermorgen nach Sylt«, knurrt sie, »aber von Dankbarkeit oder Wiedersehensfreude hat er kein Sterbenswörtchen gesagt. Er hat sich nur für die Teedosen interessiert!«
    »Du hast ihm ja ganz schön die Hölle heiß gemacht mit deinen Blechdosen«, sage ich ironisch.
    Sie sieht mich groß an und fängt an zu weinen. Plötzlich brechen Leid und Kummer aus ihr heraus, die sich lange angestaut haben: »Alle denken, ich hätte ein heiteres Naturell und es leicht im Leben. Schon als junges Mädchen wurde mir an allen zehn Fingern ein Verehrer angedichtet, aber Pustekuchen! Wer ahnt denn überhaupt, wie es da drinnen aussieht …«
    Selbstmitleid ist eine gefährliche Sache, wir haben es uns beide kaum je gestattet. Was ist los mit Anneliese, daß sie sich derart gehenläßt?
    »Einmal im Leben will ich ohne Angst vor Schwangerschaft wie in jungen Jahren, ohne Verantwortung und Verpflichtung wie in einer Ehe, nur so zum puren Vergnügen einen Mann lieben! Warum klappt das denn nicht, bin ich zu fett oder was?«
    Am liebsten würde ich sagen »zu alt«, aber das stimmt nicht ganz. Es gibt Paare, die finden sich noch mit Achtzig.
    Heimlich freue

Weitere Kostenlose Bücher