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Laennaeus, Olle

Laennaeus, Olle

Titel: Laennaeus, Olle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Das fremde Kind
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Dokumente überlassen würden, aber
sie waren immer noch nicht zufrieden. Gebärdeten sich eher noch aufgebrachter und
wütender. Dann wurde es plötzlich still um uns herum. Die Tritte und Schläge hörten
auf. Ich hab nur noch Gemurmel und Flüstern gehört. Schließlich verstummte auch
das. In dem Moment habe ich begriffen, dass sie tatsächlich vorhatten, uns zu töten.»
    Konrad hört Gertruds Atemzüge dicht
neben sich. Nimmt den Geruch von Schweiß und Angst wahr. Vom Ol ihrer Waffen. Den
schwefelartigen Gestank von frischem Blut, das bald fließen würde. Er hört ein metallisches
Klicken, als jemand eine Pistole entsichert.
    «In dem Augenblick ...», sagt er leise,
«in dem Augenblick habe ich zu Gott gebetet, dass sie Mahmoud zuerst erschießen
mögen.»
    Gertrud erwidert nichts, aber er spürt,
wie sie sich leicht bewegt.
    «Und Gott hat mich erhört. Sie haben
ihn hingerichtet und mich aus irgendeinem verdammten Grund leben lassen.»
    Sie schweigen beide eine ganze Weile.
Hören, wie draußen vor der Haustür ein Auto Gas gibt und das Motorengeräusch schließlich
langsam wieder abebbt. Warum sitzt keine Amsel auf der Dachrinne und zwitschert,
wie sonst immer?
    Dann setzt Gertrud sich auf. Sie ist
lediglich als schwarzer Schatten über ihm zu erkennen. Aber ihre Augen leuchten
wie aufblitzende Sterne.
    «Du versuchst dem Ganzen zu entkommen,
oder? Aber vielleicht solltest du stattdessen innehalten und dich umdrehen.»
    Konrad weiß, dass sie recht hat.
    «Erst war es nur Mahmoud», sagt er.
«Aber dann, nachdem das alles passiert ist, kamen alle möglichen anderen hinzu.
In meinen Träumen sehe ich, wie Maria mich anklagt, so wie sie es nie jemals in
der Realität getan hat. Warum hab ich mich nur nicht mehr um sie gekümmert? Sven
steht da und schaut mich vorwurfsvoll durch seine Brillengläser an. Und da sind
noch mehr Menschen, die kommen und gehen. Herman und Signe, die wie vernachlässigte
Haustiere aussehen. Warum hab ich nie etwas von mir hören lassen? Es wäre so einfach
gewesen.»
    Sie seufzt tief.
    «Du hast wohl deine Gründe gehabt ...
Wir alle haben unsere Gründe.»
    «Vielleicht...»
    Er sieht, wie Gertrud das Gesicht gen
Himmel richtet, als suche sie etwas, vielleicht den Mond, der bald zu sehen sein
müsste.
    «Wenn man vor etwas flieht, ist man
zunächst völlig blind», sagt sie. «Aber irgendwann muss man schließlich anhalten.
Wenn man einen Ort gefunden hat, an dem man sich sicher genug fühlt, um es zu wagen,
in den Spiegel zu schauen.»
    «Ich muss an Agnes denken», sagt Konrad.
«Glaubst du, dass sie einen Ort hatte, an dem sie Zuflucht finden konnte?» Gertruds
Gesichtsausdruck ist vollkommen reglos.
     
    W ährend der
gesamten Fernsehsendung sagt sie kein Wort. Sitzt einfach nur mit ihrem verdammten
Lottoschein vor sich da und starrt wie gebannt auf das idiotische Heruntergeleiere
von Zahlen. Dieses saugende Schmatzgeräusch aus ihrem Mund. Wie ein Roboter füllt
sie ihn mechanisch mit Schokokugeln, ohne auch nur für eine Sekunde den Bildschirm
aus dem Blick zu lassen. Er wird kribbelig; wie oft hat er schon vorgehabt, sie
zu bitten, nicht so verdammt zu schmatzen, sich aber nie richtig getraut. Und dann
diese lächerlichen Pantoffeln mit den großen rosafarbenen Plüschbommeln obendrauf.
Ihre «Kaninchen», er verabscheut sie.
    Als die Lottosendung zu Ende ist, steht
er vom Sofa auf. Streckt sich demonstrativ und murmelt vage etwas von «ein wenig
Luft schnappen». Sie wirft ihm einen misstrauischen Blick zu. Nimmt dann die Fernbedienung
in die Hand und zappt herum, bis sie bei einem Sender landet, in dem irgendwelche
Erwachsenen Scharade spielen. Hysterische Lachsalven folgen ihm bis in den Flur
hinaus.
    Er zieht die dünne Windjacke über und
vergewissert sich, dass der Brief noch in der Innentasche liegt. Schließt dann die
Wohnungstür hinter sich, ohne tschüs zu rufen.
    Im Kellergang ist es kühl. Es riecht
nach Staub und ausgelaufenem Benzin. Der Volvo steht an seinem Platz ganz hinten
in der Ecke. Der Anblick beruhigt ihn. Er lässt den Motor an, rollt hinaus auf die
Straße und fährt ohne Ziel umher, bis er an einer Hauswand einen Briefkasten erblickt.
Er ist bestimmt weit genug entfernt. Nicht, dass er sich irgendwelchen Illusionen
hingeben würde, dass der Adressat vielleicht nicht kapiert, wer den Brief geschickt
hat. Aber es ist sicherer, keine Spuren zu hinterlassen.
    Er steigt aus und atmet die Abendluft
ein. Erstmals an diesem Abend beginnt der Zweifel an

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