Laennaeus, Olle
bin gelaufen ...»
«Und vor wem bist du weggelaufen?»
«Unter anderem vor einem Hund. Einem
großen wütenden Schäferhund, der mir die Zähne ins Fleisch rammen wollte.»
«Machst du Witze?»
«Nein.»
Konrad erzählt ihr von seiner Flucht
vor dem Hund und dem Bauern. Er spürt, dass er immer noch etwas benommen ist.
«Merkwürdig», sagt er. «Ich glaube,
ich bin noch nie bei diesem Hof gewesen.»
«Ich auch nicht.»
«Es gibt so viele abgelegene Orte hier
im Umkreis. Man denkt, dass man die Gegend kennt. Aber dann steht man während einer
Fahrradtour oder bei einem Spaziergang plötzlich vor einem Haus, von dem man nicht
mal gewusst hat, dass es existiert.»
Er zieht sie näher an sich, nur um
ihre Wärme zu spüren. Die Wölke am Himmel ist verschwunden. Oder vielleicht sieht
er sie auch nur nicht mehr, jetzt, wo das Universum den dunkelsten aller Blautöne
angenommen hat. Gertruds Kleidung riecht etwas nach Essensdünsten; sie muss direkt
aus dem Hotel gekommen sein.
«Es ist irgendwie komisch», meint Konrad.
«An den letzten Kilometer habe ich nicht die geringste Erinnerung. Kann man in bewusstlosem
Zustand laufen?»
«Nicht, dass ich wüsste.»
Sie lacht auf.
«Die joggende Leiche. Das wäre doch
etwas, womit man die Gerüchteküche hier im Ort anheizen könnte.»
Sie liegen schweigend im Gras und atmen
die Nachtluft ein. Das Stechen in Konrads Lunge hat nachgelassen. Aber sein Körper
fühlt sich immer noch eigenartig taub an, als wäre er von seinen Sinnesorganen abgetrennt.
«Du bist also nicht nur vor dem Hund
weggelaufen?»
«Wie meinst du das?»
«Einfach so», entgegnet sie. «Dass
es nicht nur diese blutrünstige Bestie war, der du entkommen wolltest.»
«Wem sollte ich denn noch entkommen
wollen?»
«Sag du's mir ...»
In seinem Inneren weiß er, dass sie
recht hat. Denn schließlich haben sie ihm alle im Nacken gehangen, als er wie blind
den Weg entlanggerannt ist, wie ein Verrückter auf der Flucht aus dem Irrenhaus.
Die Schatten von früher. Die Geister, die ihn nachts ständig heimsuchen.
«Ich hab neulich Nacht gehört, wie
du im Schlaf geschrien hast», sagt Gertrud. «Weißt du das eigentlich?»
«Nein ...»
«Und wer hat dich dort gejagt?»
«Ich weiß nicht ... Lange Zeit war
es Mahmoud, der in meinem Kopf aufgetaucht ist. Nachts hat mich immer der Gedanke
gequält, ich hätte ihn verraten.»
Sie legt ihren Kopf an seinem Arm zurecht.
«Hast du das denn?»
Er antwortet nicht.
«Was ist denn da eigentlich passiert?»
Konrad schaut geradewegs nach oben
in die unendliche Dunkelheit. Das All kommt ihm auf wunderliche Weise irgendwie
ganz nahe vor. Eine Fledermaus fliegt lautlos vorbei. Eine Sternschnuppe fallt.
Er fühlt sich schwerelos, und als er beginnt, Gertrud von Bagdad zu erzählen, ist
es, als ob seine Worte nur den Bildern in seinem eigenen Kopf entstammten.
«Mahmoud war einige Jahre jünger als
ich, aber ich hab ihn gut gekannt. In gewisser Weise wie einen Freund. Er war Jordanier,
und wir hatten schon eine ganze Weile im Mittleren Osten zusammengearbeitet. Ein
phantastischer Organisator. Kannte alle und jeden. Eines Tages befanden wir uns
in der falschen Straße. Ich sollte für eine deutsche Zeitung eine Reportage machen.
Alltag in der Hölle, so ungefähr. Wir wussten natürlich, dass wir uns in einem gefährlichen
Viertel aufhielten, dachten aber, wenn wir den Job schnell erledigten, wäre das
Risiko nicht so groß. Und plötzlich tauchten sie einfach auf. Maskiert. Ich weiß
nicht einmal, was es für Typen waren. Sie schrien, brüllten und fuchtelten mit
ihren Kalaschnikows herum. Mahmoud versuchte zu dolmetschen, aber es ging so schnell,
dass ich nichts begriff. Und als sie uns Augenbinden umbanden, wurde alles schwarz.
Ich hatte Todesangst. Sie rissen und zerrten an uns. Nahmen uns die Handys, Kameras
und Portemonnaies ab, aber ich hatte den größten Teil meines Geldes unter den Dielen
im Hotel versteckt. Wir wurden in ein Auto verfrachtet. Eine Weile durch die Gegend
gefahren und durchgeschüttelt, bis das Auto anhielt. Dann wurden wir in ein Gebäude
gebracht. Dort zwangen sie uns auf die Knie, sie fingen an, uns zu treten und anzubrüllen.
Hauptsächlich Mahmoud, nur er konnte Arabisch. Ich begriff bloß, dass sie unzufrieden
waren und vorhatten, uns als Geiseln zu nehmen. Sie wollten wissen, für wen wir
arbeiteten. Von wem sie Geld erpressen konnten. Ich hab ihnen gesagt, dass wir ihnen
den Namen der Zeitung geben und ihnen alle unsere
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