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Laennaeus, Olle

Laennaeus, Olle

Titel: Laennaeus, Olle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Das fremde Kind
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Bild. Ein einziger Baum, eine kräftige Kiefer, die wie ein Fahnenmast
mitten auf der Insel emporragte.
    Um Punkt drei Uhr öffnete sich die
Tür zur Dachveranda. Durch die Menschenmenge im Garten ging ein Raunen, dann wurde
es still. Drei Krähen, die auf dem Schornstein nisteten, flatterten erschrocken
davon.
    Es dauerte einige Sekunden, bis Sven
sich selbst und seine Ausrüstung durch die Tür gezwängt hatte. Dann stand er vollkommen
unbeweglich auf dem schwankenden Holzboden oberhalb der Zuschauermenge.
    «Was zum Teufel ...», murmelte ein
kräftiger Mann mit heiserer Stimme direkt hinter Konrad.
    «Um Gottes willen», seufzte die Frau
an seiner Seite.
    «Die Außerirdischen greifen an!», schrie
ein pickelübersäter Teenager mit gekünsteltem Schrecken.
    Seine Freunde grinsten, und die Lacher
breiteten sich wie ein Lauffeuer unter den Leuten im Garten aus.
    Konrad dagegen empfand nichts als pure
Bewunderung. Er hielt den Atem an. Und bald ebbte das Hohngelächter ab.
    Hatte der Junge tatsächlich vor, es
zu tun? Von den Eltern keine Spur. Wo steckten sie nur? Sixten und Elsa Myrberg
waren doch sonst immer zu Hause. Waren sie wieder einmal besoffen? Wahrscheinlich
lagen sie irgendwo da drinnen im dunklen Haus und schliefen schnarchend ihren Rausch
aus. Müsste ihn denn nicht irgendjemand von seinem Vorhaben abhalten?
    Sven sah aus, als würde er jede Sekunde
genießen. Er war eindrucksvoll anzuschauen. Die Brille mit den runden Gläsern hatte
er abgelegt. Der Wind zerrte an seinen roten Locken. Konrad fand, dass die türkisfarbenen
Strumpfhosen an seinen dünnen Beinen und der glitzernde silberne Pulli, den er dem
Kleiderschrank seiner Schwestern entliehen haben musste, ihm einen gewissen Glanz
verliehen. Aber die Apparatur, die er mittels Wäscheleinen über Rücken und Schultern
gespannt hatte, beeindruckte ihn am meisten. Ein riesiges Gerüst aus Bambusstäben,
Stahldraht und ausgeblichenen Bettlaken, in allen Regenbogenfarben. Es waren die
Flügel, die Sven Myrberg zum Mond tragen sollten.
    Mit feierlichem Ernst in seinem sommersprossigen
Gesicht hob und senkte er die Arme, wie um die Tragkraft seiner Konstruktion zu
prüfen. Er blinzelte kurzsichtig zur Insel hinüber und nickte dann stumm. Es sah
gut aus.
    «Du bist doch verrückt, tu's nicht!»,
rief seine älteste Schwester unten vom Hof hoch, wo immer mehr Leute zu begreifen
begannen, dass er es ernst meinte.
    Die Dachveranda lag mindestens zwölf
Meter über dem Boden.
    «Kann ihn denn keiner aufhalten?»,
jammerte eine dicke Frau.
    Doch der jüngere Teil des Publikums
witterte Blut.
    «Spring! Spring! Spring!», skandierte
die Teenagergang vom Rosenbeet aus. Mitten unter ihnen stand Klas und übertönte
alle anderen mit seinem Gebrüll. Konrad wünschte, der Stiefbruder wäre nicht da
gewesen. Dieser aufgeblasene Idiot. Warum musste er immer alles kaputtmachen?
    Jetzt hatte Sven seine Startposition
eingenommen. Er stand mit dem Rücken zur Tür, die ins Haus führte, und hatte die
Flügel ausgebreitet. Vor ihm lag eine aus Holzdielen bestehende Startbahn von fast
zehn Metern bis zum Abgrund. Er hatte vorher einige Latten des Geländers entfernt,
um ungehindert springen zu können.
    Genau in dem Moment, als er die Beinmuskeln
unter dem Nylonstoff anspannte, um loszurennen, schien er es sich jedoch anders
zu überlegen. Er bückte sich und zog ein Megaphon hervor, das hinter einem Wäschekorb
gestanden hatte. Eine zusammengerollte Pappscheibe, mit Alufolie beklebt.
    «This is a small step for man, but
one giant leap for mankind», lispelte er in die Flüstertüte.
    Unten auf dem Rasen klang es blechern
und wie aus immenser Entfernung. Fast, als käme die Stimme per Schallwellen aus
dem Weltall.
    Dann konzentrierte er sich erneut.
Bewegte den Körper etwas vor und zurück. Wartete.
    Als eine besonders starke Windbö über
das Myrberg'sche Haus hinwegfegte, rannte er los.
    Der Start wirkte etwas schwerfällig.
Sven hatte offenbar Schwierigkeiten, mit seiner gigantischen Flugkonstruktion auf
dem Rücken zu laufen. Er wankte wie eine angeschossene Dohle über den Dielenboden,
zögerte am Abgrund allerdings nicht, sondern warf sich unerschrocken und bäuchlings
geradewegs in die Luft.
    Für eine Zehntelsekunde verließ ihn
die Tragkraft, und er fiel. Doch dann griff der Wind ihm unter die Flügel. Und Sven
Myrberg flog. Wie ein buntgefiederter Adler segelte er über den grasbewachsenen
Abhang, während ein begeistertes Raunen aus der Zuschauermenge

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