Laennaeus, Olle
erahnt, die sich in Richtung der Unterseite des Eises nach oben winden,
erblickt er mehrere Gestalten. Sie treiben im Seegras umher, offenbar willenlos,
genau wie er.
Konrad versucht zu erkennen, wer sie
sind. Doch es gelingt ihm nicht. Sein Blick ist trübe geworden. Sie kommen ihm
irgendwie bekannt vor, aber ihre Konturen verschwimmen zunehmend, und jetzt tut
es in seiner Brust so wahnsinnig weh.
Er muss endlich Luft bekommen.
Ich muss atmen!, denkt er und öffnet
den Mund, sodass das schwarze Wasser seine Lungen füllt. Gleich sterbe ich.
K onrad schlägt
die Augen auf und starrt geradewegs auf die digitale Anzeige des Radioweckers auf
dem Nachttisch. Die roten Ziffern zeigen 08:10 Uhr an.
Das Laken ist durchgeschwitzt und klebt
ihm am Körper, wie Algen. Er schaut sich verwirrt um, und es dauert einige Sekunden,
bis er weiß, wo er ist.
Draußen im Korridor hört er eine Tür
zuschlagen. Ein schwacher Geruch nach gebratenem Speck sickert durch den Türspalt
und breitet sich wie ein unappetitlicher Dunstschleier aus. Das Zimmer, das ihm
zugewiesen wurde, liegt gleich neben der Küche. Die Jalousien vor dem Fenster tauchen
es in eine gräuliche Dunkelheit. Ein dünner, gleißender Lichtstrahl, der durch
eines der kleinen Löcher in den Lamellen hereindringt und die Staubkörner auf dem
fleckigen Teppichboden aufwirbelt, verrät jedoch, dass draußen die Sonne bereits
vom Himmel brennt. Auch heute scheint es wieder heiß zu werden.
Konrad bleibt noch eine Weile im Bett
liegen und versucht, sich an den Traum zu erinnern.
Wen hat er da unten zwischen den Wasserpflanzen
nur gesehen?
Die Bilder verblassen schnell, doch
der Eindruck des Traumes bleibt noch eine Weile haften. Auch er ist undeutlich.
Schließlich kann er ihn jedoch benennen.
Schuld.
Eindeutiger geht es nicht.
Konrad befreit sich aus den klebrigen
Laken und geht ins Bad. Der Spiegel über dem Waschbecken hat einen Sprung. Er betrachtet
sein Ebenbild. Die Schatten unter seinen Augen sind dunkler geworden. Die Falten,
die die Kinnpartie von den Wangen trennen, ausgeprägter. Dreitagebart. Wirres braunes
Haar, das an den Schläfen langsam grau wird. Und sein Blick, was drückt der aus?
Schrecken?
Schwer zu sagen, da der Sprung im Spiegel
sein Gesicht diagonal teilt und beide Hälften um ein paar Zentimeter verschiebt.
Er bewegt den Kopf ein wenig zur Seite, doch der Spiegel ist zu klein. Wie er es
auch anstellt, ist der Sprung im Weg und verwandelt ihn in ein Gemälde von Picasso.
Er gibt auf.
Dann fällt sein Blick aufs Handy. Dieses
Mal nimmt er allen Mut zusammen und ruft an.
Drei Klingelzeichen, dann hört er ihre
Stimme auf dem Anrufbeantworter. «Hallo, hier ist Sonja. Ich bin leider gerade beschäftigt.
Hinterlass mir eine Nachricht, wenn es wichtig ist. Schönen Tag noch!»
Dämliche Phrase, denkt er und wirft
das Handy aufs Bett.
«Schönen Tag noch!» Verdammt, dass
sie ihr Telefon nie anschaltet.
Aber eigentlich ist er ziemlich erleichtert
darüber, dass sie nicht drangegangen ist.
Dann kann Konrad die Entscheidung nicht
länger hinauszögern. Er muss es sich überlegen. Soll er bleiben?
Rein formell hat er die Erlaubnis zu
fahren, wohin er will. Die Polizei hatte keine Einwände. Er muss ihnen lediglich
mitteilen, wo er zu erreichen ist. Das hat Eva Ström ausdrücklich betont. Und natürlich
hat er den anklagenden Unterton in ihrer Stimme wahrgenommen. Es gibt lediglich
zwei Erben für Hermans und Signes bis vor kurzem noch geheimes Vermögen. Klas und
ihn selbst.
Ohne Zweifel macht ihn das verdächtig.
Wenn er jetzt abhauen würde, wo sollte
er dann hin? Der Mietvertrag für die Wohnung in Malmö läuft sowieso in ein paar
Wochen aus. Was will er auch dort? Und Berlin ... Konrad denkt an die Stadt, die
in gewisser Weise seine Heimat geworden ist. Prenzlauer Berg. Die schattenspendenden
Alleen. Die Cafes am Kollwitzplatz, wo die Leute bis weit in den Herbst hinein in
Decken gehüllt draußen sitzen. Und Sonja, sie wohnt schließlich auch in der Stadt.
Er entscheidet sich, erst einmal zu
frühstücken. Nach einer schnellen Dusche schlendert er in Richtung Speisesaal.
Der Bacongeruch schlägt ihm entgegen, doch jetzt ekelt er ihn nicht mehr. Sein Magen
knurrt. Er hat Hunger.
Außer ihm befindet sich nur noch ein
weiterer Gast im Speisesaal. Ein blasser Mann mit Glupschaugen und einer unmodernen
Frisur, eine Art geföhnter Haarkranz, der seine eingefallenen Wangen einrahmt. Er
trägt ein Jackett in einem eigenartigen
Weitere Kostenlose Bücher