Laennaeus, Olle
aufstieg. Die kleinen
Kinder rannten johlend hinterher. Die Erwachsenen deuteten mit dem Finger in seine
Richtung, stießen verwunderte Laute aus oder hielten lediglich eine Hand vor den
offenen Mund und starrten ihm nach. Konrad stand wie versteinert da. Innerlich
jubelte er, aber aus Angst, den verwegenen Mondfahrer abzulenken, wagte er nicht,
auch nur einen Mucks von sich zu geben.
Die Richtung war zweifelsohne die richtige.
Sven schwebte geradewegs auf den See zu und hielt die Flügel im perfekten Winkel,
sodass der Luftstrom ihn tragen konnte. Aber es ging ziemlich schnell. Geradezu
verdammt schnell. Und rasch war allen klar, dass der neunmalkluge Sven Myrberg zwar
richtig berechnet hatte, in welcher Art und Weise die aerodynamischen Gesetze ihn
tragen würden, aber vergessen hatte, sich über die Landung Gedanken zu machen.
Der Aufprall war ziemlich unsanft,
das sah man sogar aus über hundert Metern Entfernung.
Mit voller Wucht krachte Sven in die
einsame Kiefer, gut drei Meter über dem Boden. Man hörte einen dumpfen Schlag. Danach
ein knirschendes Geräusch, als die Schwingen aus Bambus, Stahldraht und Bettlaken
an der rauen Rinde zerbrachen. Leblos fiel der zehnjährige Astronaut Sven Myrberg
auf die Oberfläche des Mondes herab.
N ach der Mondlandung
war Sven Myrberg nicht mehr derselbe. Es war beinahe, als wäre er erwachsen geworden.
Der Crash hat seinem Gehirn arg zugesetzt, sagten die Arzte im Krankenhaus in Ystad.
Nicht, dass er dümmer geworden wäre, im Gegenteil. Sven Myrberg zeigte sich eher
noch faszinierter von Mathematik und technischen Zusammenhängen. Der Stapel von
Büchern neben dem von Wolfgang von Schwarzkopf, das er nie zurück in die Bücherei
brachte, wuchs stetig. Während die älteren der rothaarigen Kinder aus dem Myrberg'schen
«Ameisenhaufen» auszogen, konnte Sven sich im Jungenzimmer immer mehr ausbreiten.
Schon bald sollte sich zeigen, dass er ein absolutes Zahlengedächtnis besaß; ein
Blick auf einen Busfahrplan, und jede Abfahrt saß wie in Stein gemeißelt. Nein,
von der Gehirnerschütterung hatte Sven sich ohne Zweifel erholt, sein Kopf trug
keinen Schaden davon.
Anders war es jedoch mit dem Rest des
Körpers.
Die Bruchlandung auf dem Mond brachte
ihm drei gebrochene Rippen sowie zwei ausgeschlagene Zähne und eine zertrümmerte
Hüfte ein. Letztere heilte nie wieder vollständig, Sven musste sein Leben lang
hinken. Nach fast einem Jahr im Krankenhaus und im Gipsbett zu Hause kam er zurück
in die Schule. Da er die Vierte wiederholen musste, landete er in Konrads Klasse.
Am ersten Tag kam er ohne ein Wort angehumpelt und setzte sich auf den einzigen
freien Platz. Den neben Konrad.
Zwei Ausgestoßene.
Ein Polackenjunge. Und ein Sonderling,
ein wahnsinniges Genie.
Es war nur natürlich, dass sie zusammenhielten.
Mehrere Jahre später sollte ihre Freundschaft
auf ihre schwerste Probe gestellt werden.
Da nämlich begann das Gerücht zu kursieren,
dass Sven anders war als die anderen. Auch, was das Sexuelle betraf.
KAPITEL 3
D er Traum, der
ihn in dieser Nacht jagt, ist anders. Er ist eher vage, nicht so aufdringlich. Nicht
voller Schrecken, doch er bereitet ihm ein unterschwelliges Unbehagen.
Er erwacht nicht mit einem Ruck, wie
er es normalerweise tut, sondern windet sich langsam aus dem Schlaf. Als er fast
wach ist, gleitet er mehrfach wieder zurück, wie ein Ertrinkender in einem Eisloch.
Das schwarze Wasser zieht seinen Körper herunter, er hat Schwierigkeiten zu atmen.
Merkwürdig, dass der See nicht kalt
ist. Eigentlich müsste er es sein.
Jetzt befindet er sich unter der Wasseroberfläche.
Die Luft in seinen Lungen wird langsam weniger, der Druck auf seiner Brust nimmt
zu, und es rauscht in seinen Ohren. Er versucht, nach oben auf den hellen Fleck
zuzuschwimmen, wo das Loch im Eis sein müsste, aber es ist, als hätte ihn alle Kraft
verlassen. Sein Körper driftet im Wasser herum, ohne jeglichen Halt. Das Licht oberhalb
des Eislochs verschwindet immer weiter in der Ferne.
Merkwürdigerweise friert er überhaupt
nicht, dafür nehmen die Schmerzen zu. Schließlich werden sie unerträglich. Seine
Lungen schreien nach Luft. In seinem Kopf dröhnt es, sein Gehirn ringt nach Sauerstoff,
und Konrad spürt, wie er in die Bewusstlosigkeit abgleitet. Dennoch hat er keine
Angst.
Fühlt sich lediglich einsam.
Um ihn herum ist es fast völlig dunkel.
Aber genau an dem Punkt, wo das Licht aufhört, genau dort, wo er einige verschlungene
Wasserpflanzen
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