Laessliche Todsuenden
nicht.
Joana war eine Unterleibsfrau. Das sagte sie mit einem gewissen Opferstolz, und es war ihre und ihrer Freundinnen feste Überzeugung, dass die meisten Frauen damit geschlagen waren, nur sei das ja leider ein Tabuthema. Pilze und Entzündungen, gereizte, trockene oder eingerissene Schleimhäute, dazu die geradezu biblische Plage der Harnwegsinfektion – und das meiste kam, letzten Endes, vom Geschlechtsverkehr, der ständig die Immunabwehr destabilisierte. Geht doch endlich mal zum Urologen, ihr Feiglinge, sagte Joana zu Rument, Gerhard und Martin, wenn sie ausnahmsweise mehr als ihre zwei Gläser Rotwein getrunken hatte, nur Mädchen und alte Männer im Wartezimmer, Honeymooners und Prostatagreise, sonst niemand. Und Ines und Kathi nickten dazu.
Als er kalt genug geworden war, sprang Rument aus der Dusche, rieb sich ab, sodass die Haut rot wurde, und griff nach seiner Wäsche. Doch dann zögerte er und zog nur den Bademantel über. Schließlich war Sonntag. Seines Wissens hatte Joana ihre Tage längst gehabt, obwohl das in letzter Zeit immer länger und heftiger wurde. Kein Scheidenpilz, kein Blasenkatarrh weit und breit, soviel er wusste. Gestern war sie zwei Stunden im Fitnesscenter gewesen und hatte danach zufrieden ausgesehen. Meine Frau ist fit, dachte Rument, fast trotzig, und versuchte, sich selbst gedanklich irgendwie zu neutralisieren, alles, was sonst immer mitschwang, wegzublenden, so als wäre er nicht er und Joana nicht Joana mit all ihren Geschichten, als wäre er einfach nur irgendein Mann, der sich am Sonntagmorgen ganz selbstverständlich in seiner Frau versenken wollte. Und er packte den Milchkaffee und ging ins Schlafzimmer.
Etwas, was Rument nicht loswurde, was immer wieder an ihm fraß, war die Bemerkung seiner Mutter über Joana, damals, vor neun Jahren. Von klein auf war Rument empfindlich gegenüber den Bosheiten von Mutter und Bruder, denn als Jüngerer fühlte er sich rhetorisch unterlegen. Er lernte bald, ebenso scharf und geistreich zu formulieren wie sie, und wurde später zum beliebten Unterhalter seiner Freunde (zum Pausenclown, stichelte seine Mutter). Aber Kritik von daheim vertrug er weiterhin schlecht.
Es musste der erste oder zweite Besuch gewesen sein. Er hatte irgendetwas im Haus seiner Mutter vergessen, Joana wartete im Auto, die Eingangstür war nicht richtig geschlossen, und so trat er einfach wieder ein, in der Absicht, seine Mutter gar nichts merken zu lassen, das Vergessene schnell zu nehmen und leise die Tür hinter sich zuzuziehen. Er hörte seine Mutter lachen, offenbar telefonierte sie. Er schlich an der angelehnten Wohnzimmertür vorbei und hörte ihr zu. Sie hatte immer schon die Gewohnheit gehabt, beim Telefonieren auf und ab zu gehen, schon lange, bevor es schnurlose Telefone gab, da schleppte sie den Apparat an einem ständig verwickelten Kabel mit sich herum. Direkt neben sich, nur von der Tür getrennt, hörte er sie sagen: Rument? Der hat sich gerade ein Mädchen aus dem Tierheim geholt!
Und dann lachte sie wieder.
Kurz davor hatte ihn seine erste Freundin, die Dorfschönheit mit den honigfarbenen Locken, in einem Ausmaß gehörnt, dass die ganze Nachbarschaft über ihn spottete. Rument war gerade aufgefallen, dass sie immer weniger Zeit für ihn hatte (ein bisschen Zeit und Lust hatte sie noch), da hing am Gemeindeamt schon das Aufgebot für ihre Hochzeit mit dem Direktor der Sparkasse. Am Gemeindeamt hatte Rument selten zu tun. Immerhin lachten sie zu Hause nicht, nicht einmal insgeheim. Seine erste richtige Freundin war ihm bis dahin wie eine Trophäe erschienen, die auch seine Familie zierte. Doch nun sagte seine Mutter mit ungewohntem Ernst, ein windiger Charakter, und zehn Jahre später fühlte sie sich nur allzu bestätigt, als die Honigfarbene, um ihre Schönheit und ein paar Zähne erleichtert, in einem spektakulären Prozess gegen ihren dritten Ehemann aussagte, der nicht nur geprügelt, sondern auch die Nachbarskinder angegrapscht und schließlich das Haus angezündet haben sollte.
Joana dagegen sah mit neunzehn aus wie ein trotziges Kind. An dem lauten, bierseligen Tisch im ›Jakobinerwirt‹, wo Rument ihr das erste Mal begegnete, kauerte sie in einer Ecke auf der Bank, die Beine untergeschlagen, die Daumen durch zwei Löcher in den Ärmeln ihres filzigen schwarzen Pullovers gesteckt. Als zöge sie sich von ihren Freunden zurück, in eine zweite Reihe, die ihr aber umso mehr Fürsorge eintrug. Am Jochbein hatte sie Blutergüsse und
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