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Laessliche Todsuenden

Laessliche Todsuenden

Titel: Laessliche Todsuenden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Menasse
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Umgebung, seine Freunde und sein Bruder verstanden sich alle immer noch als links. Sie litten schon genug an ihren individuellen Zweifeln, und da hatten Flüchtlinge, die zur Rückkehr keine Kraft mehr hatten, nichts anderes zu erwarten als vages privates Mitleid.
    Auf Rument aber, einmal eingeweiht, fiel die ganze Verantwortung. Wenn wieder mitten in der Nacht das Telefon läutete, dann wimmerte Joana, und es hob nur mehr er ab. Nach einer Weile fuhr er auch allein hin, Joana verkroch sich schaudernd unter den Decken, und wenn er im Morgengrauen wiederkam, dann kochte er ihr Tee, massierte ihre eiskalten Füße und log ihr vor, es sei gar nicht so schlimm gewesen, dieses Mal.
    Rument hatte alle Notrufnummern parat, außerdem einen Kübel, Wischtücher und ein scharf riechendes Putzmittel im Kofferraum, denn diese notwendigen Hilfsmittel verschwanden bei Joanas Eltern auf mysteriöse Weise. Wenn endlich wieder alles ruhig war, das Gebrüll verstummt und die Dinge an ihrem Platz, wenn er endlich ungestört die Scherben zusammenkehren und das Erbrochene von den ärmlichen Möbeln wischen konnte, dann richtete sich Rument an seinem guten Verhältnis zu den Beamten auf. Das Ganze war ein Job, nichts weiter. Die Beamten behandelten es so, und nur der unerfahrene Angehörige fühlte sich gleich vor einem moralischen Gericht, das durch Beteuerungen, Schwüre oder Gezeter beeinflusst werden konnte. Rument war nicht unerfahren, nicht mehr. Er und die Beamten blieben ganz sachlich, das tat ihm gut. Man kam herein, checkte die Lage und tat, was getan werden musste. Zweimal musste Joanas Mutter der Magen ausgepumpt werden, lustigerweise war es beide Male dieselbe indische Notärztin, die Rument geradezu unpassend sexy fand. Einmal war nicht zu verhindern gewesen, dass Joanas Vater mitgenommen wurde, nachdem er noch, vor aller Augen, blitzschnell zwei Stühle hinausgeworfen hatte, durch das geschlossene Küchenfenster in den Hof. Rument einigte sich augenzwinkernd mit den Beamten, die ihm versicherten, er würde heute gewiss keine Freude mehr mit dem »Herrn Schwiegervater« haben. Aber meistens war es gar nicht so schlimm. Lärmbelästigung, zerbrochenes Geschirr, ein verstopftes Klo, weil Joanas Mutter irgendwelche Papiere zu vernichten gesucht hatte, einmal war die kochendheiße Badewanne übergegangen, einmal hatte sie den Vater ausgesperrt, heulte zwar hinter der Tür, weigerte sich aber aufzumachen, einmal schlug sich der Vater im Stiegenhaus mit dem Nachbarn, der noch mehr soff als die beiden, wenn das überhaupt möglich war. Das war der Normalfall. Zwei Beamte, Rument, gelegentlich der Notarzt mit einem Schlaf- oder Beruhigungsmittel für die Mutter, für den Vater reichten meistens ein kalter Waschlappen und ein Kaffee. Interessant blieb höchstens, in welcher Reihenfolge man eintraf. Es war immer früh genug, sodass Rument danach noch zwei, drei Stunden schlafen konnte, daher waren ihm seine nächtlichen Einsätze in der Zinnergasse tagsüber eigentlich nur wie ein böser Traum erschienen, ein Spuk oder eine schwarze Phantasie.
    Joana lag unter den Decken, zusammengerollt wie ein Kind oder Tier, kein Stück von ihr war zu sehen, nicht einmal Haare. Rument stellte den Milchkaffee vorsichtig auf ihrem Nachttisch ab. Die Schaumhaube ragte immer noch stolz über den Rand wie eine Bischofsmütze, Rument hatte das vor neun Jahren genau gelernt. Er selbst vertrug keine Milch. Er kniete sich vor das Bett und steckte vorsichtig eine Hand unter den Deckenberg. Wenn er Glück hatte, würde er einen Fuß erwischen. Joana ertrug es nicht, wenn sie ohne Vorwarnung am Körper berührt wurde, Gnade Gott in der Schamgegend. Er würde sie erschrecken, hatte sie ihm oft genug vorgeworfen, sie sei noch im Tiefschlaf und plötzlich habe sie seine riesige Hand auf dem Bauch. Ruments Hand fand tatsächlich Joanas Fuß, seine Finger umschlossen den Knöchel, mit der anderen Hand begann er ihr Fußgewölbe zu massieren. Der Fuß bewegte sich nicht. Mit dem Arm hob Rument die Bettdecke leicht an, um einen Überblick über Joanas Lage zu bekommen. Doch da stöhnte sie, der Fuß entzog sich ihm, und mit einer tretenden Bewegung schloss Joana das wärmende Deckengebirge wieder über sich.
    Rument blieb vor dem Bett knien. Er könnte die Decke noch einmal heben und zu ihr schlüpfen. Aber dann wäre alles klar, sie würde es spüren, an der Rückseite ihrer Oberschenkel, und das mochte sie nicht. Er hatte ja keine Unterhose an. Sie mochte keine

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