Laessliche Todsuenden
und drängte den Vater dann wieder hinaus. Er regelte alles, telefonierte, rief sogar noch die Köchin an mit einer harmlosen Erklärung für Joana. Sie sollte nichts ahnen, bis er wieder bei ihr war. Alles in Ordnung gebracht, alles sauber. Was hätte sie nur ohne ihn gemacht, sagte Ruments Mutter später immer mit Unterton. Und als Joanas Vater, keine drei Monate später, auf der Autobahn verunglückte, war es wieder Rument, der Ruhe und Übersicht bewahrte. Zwei Wochen Koma auf der Intensivstation, er selbst ging täglich hin, hielt aber Joana fern, es hätte ihr nicht gutgetan. Dann war auch das vorbei.
Inzwischen kaufte Rument den Tee für ihren privaten Bedarf nur mehr bei der »Kräuterhexe« am Naschmarkt. Fürs Geschäft hatten sie Teebeutel aus dem Großmarkt, das schon, aber auch hier nahm Rument seit einiger Zeit die teure Marke. Es war unglaublich, was es für Unterschiede gab, bei Geruch und Geschmack sowieso, aber vor allem bei den Komponenten, für die man kein Organ hatte, Konservierungs- und Farbstoffe, Methoden, die Kräuter und Teeblätter zu trocknen. Joana hatte dafür leider ein Organ, ja, sie war das Organ. Wahrscheinlich spielte sogar das Papier, aus dem die Beutel waren, eine Rolle, und Rument hatte einmal fast ernsthaft überlegt, ob er die Metallklammer, die den Faden hielt, auf Spuren von Nickel untersuchen lassen sollte. Er schwelgte einen halben Nachmittag in der Vorstellung, wie viel Schadenersatz er von den Nahrungsmittelunternehmen erstreiten würde, sobald man Nickel oder etwas anderes nachgewiesen hätte, doch Joana verdarb ihm wieder den Spaß, als sie sagte: Aber nur in Amerika, bei uns kriegst ja kaum was, wenn dich ein Hund beißt.
Joana nahm diese Dinge nicht ernst genug. Sie flippte jedes Mal aus, wenn er vor Dritten ihre hochgradige Empfindlichkeit auch damit zu belegen suchte, dass sie einmal sogar auf Tee reagiert habe, und nannte ihn dann mit hysterischer Stimme hysterisch. Es gebe keinen Beweis dafür, keifte sie, an den betreffenden Tagen seien zu viele andere Einflüsse ungeklärt geblieben, sodass man wirklich nicht von einer Teeallergie sprechen könne, das sei einfach lächerlich. Sie selber habe schließlich auch ein Gefühl dafür, was ihr geschadet haben könnte, so wie Menschen, die etwas Verdorbenes essen, nachher auch immer genau wissen, was es war. Da brunchst du im ›Jakobinerwirt‹ und am Heimweg ist dir schon schlecht, zu Hause speibst du, und du hast zwar alles Mögliche gegessen, aber was du beim Speiben glasklar weißt, ist: Nie wieder nehm ich dort den Shrimpscocktail. Nur zum Beispiel. Und der Tee war’s garantiert nicht.
Dabei hatte Rument es gar nicht Teeallergie genannt, er sprach gern von Umweltgiften. Und alles ist doch voll von Gift, unsere ganze Umwelt, oder nicht? Da stimmten ihm die meisten Leute zu, in ihrem Freundeskreis gab es keine Naturwissenschaftler. Ihr Freunde waren Volkswirte, Techniker und Computerspezialisten, einer, Gerhard, war zwar Journalist, aber mit Schwerpunkt Wirtschaft. Sie hatten alle keine Ahnung, nur manchmal schienen sie Joanas Meinung zu teilen, dass nämlich Rument übertreibe. Aber sie lebten ja nicht mit Joana und ihren vielen Geschichten, sie mussten ja nicht dafür sorgen, dass sie gesund und vernünftig blieb.
Und deshalb kaufte er den Tee seit einer Weile bei der Kräuterhexe, der er fast blind vertraute, keine Beutel, keine Klammern, nur lose Ware in ungebleichten Papiertüten, von der Kräuterhexe mit der Hand beschriftet. Den Inhalt, die handgesammelten Kräutermischungen aus den Alpen und die garantiert geprüften Bio-Ernten aus Sri Lanka, goss Rument zu Hause in einem Porzellansieb auf. Die Kräuterhexe war eigentlich ein Mann, der aber aussah wie ein schrulliges Weiblein im falschen Gewand. Ein Kopftuch hätte genügt, ihn für eine Frau zu halten, Rument dachte manchmal an Zwitter, Hermaphroditen oder wie das hieß, denn es war ja zumindest vorstellbar, dass man im tiefsten Weinviertel, wo der Kräutermann herkam, bei einem solchen Kind einfach nichts unternommen hatte, keine Operation, keine Hormonbehandlung, einfach lieber nicht genau hingeschaut, Hosen angezogen und Manfred genannt. Rument nannte ihn bei sich deshalb weiterhin »sie«. Einmal waren sie ins Plaudern gekommen, da hatte die Kräuterhexe von der Sache mit den heurigen Kartoffeln berichtet, die Rument endgültig für sie einnahm. Die meisten Bauern würden einen Reifungsbeschleuniger verwenden, damit sie so früh wie möglich die
Weitere Kostenlose Bücher