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Laessliche Todsuenden

Laessliche Todsuenden

Titel: Laessliche Todsuenden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Menasse
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beliebten »Heurigen« auf den Markt bringen konnten. Die Nebenwirkungen dieses Mittels seien überhaupt nicht untersucht, es sei aber eine Tatsache, dass empfindliche Personen auf »Heurige« mit schweren Durchfällen reagierten. Und das, wo die »Heurigen« doch als so besonders frisch und gesund galten! Deshalb würden die »Heurigen« auch nie verdächtigt, es gäbe Leute, die hätten jedes Jahr, immer zur Spargelzeit, eine Art Frühlingsruhr, achten S’ einmal drauf. Die Kräuterhexe kicherte und verriet ihm dann, welcher Stand am Naschmarkt als einziger unbehandelte Kartoffeln verkaufte. Rument, der zum Kartoffelkaufen sofort dorthin eilte, fiel zwar auf, dass dieser Standler denselben Nachnamen trug und vermutlich ein Verwandter war, aber deshalb wusste die Kräuterhexe wohl so genau Bescheid.
    Rument nahm sein Bratenthermometer und prüfte die Wassertemperatur. Nie mehr als siebzig Grad für den grünen Tee und immer erst den zweiten Aufguss nehmen. Nichts reinigt so wie grüner Tee, und außerdem regt er sanft den Kreislauf an. Sein Plan flammte wieder auf, kurz und hell. Sonntagmorgen, Geschlechtsverkehr? Er zog den Bademantel enger.
    Er überlegte, ob sie wirklich zum Arzt mussten. Eine dicke Antihistaminspritze für Joana, und er wäre für den Rest des Tages beruhigt, was einen Rückfall betraf. Sie hatte noch nie einen Rückfall gehabt, aber eine zweite Reaktion innerhalb weniger Stunden sollte immens gefährlich sein, hatte er gehört. Andererseits schlug ihr die Spritze immer auf den Kreislauf, da konnte man nachher so viel grünen Tee trinken, wie man wollte. Einmal war ihr von der Spritze schlecht geworden, dann brachte sie stundenlang gar nichts hinunter, nicht einmal einen Schluck Wasser.
    Und man durfte den Einfluss der Psyche nicht unterschätzen. Ein Arztbesuch am Sonntag, diese Besonderheit, da würde sich Joana gleich noch viel schlechter fühlen. Außerdem würde er sie zwingen müssen, sie ging nicht gern außerhalb der Reihe, es sei denn, sie hatte wirklich unerträgliche Schmerzen. Am Wochenende und in der Nacht ging sie eigentlich nur mit Blasenkatarrh freiwillig zum Arzt, da ließ sie sich heulend in jede Notaufnahme fahren, sogar ins Kaiser-Franz-Joseph, aber nur, wenn in der ganzen Stadt wirklich keine andere Uro offen hatte. Im Kaiser-Franz-Joseph waren sie entweder zweimal an eine völlig unfähige Nachtschicht geraten, oder es war der Stil des Hauses, was Rument sich aber weiterhin weigerte zu glauben. Wenn das der medizinische Standard im einundzwanzigsten Jahrhundert war, müsste man das Spital eigentlich anzeigen! Beide Male hatten sie einen Katheter gelegt, als ob bei einem Infekt von Joanas Ausmaßen – Krämpfe, Fieber, Blut – die paar Keime, die ohne Katheter in die Urinprobe rutschten, noch eine Rolle spielten. Und als ob nicht jeder Medizinstudent im ersten Semester wissen musste, was für eine Qual das war, die Katheterisierung in einem solchen Zustand. Nie wieder Kaiser-Franz-Joseph, dann lieber gleich nach Sankt Pölten, aber noch besser, man hatte Cipro auf Vorrat, zusammengebettelt aus Ärztemustern, und kam überhaupt nicht mehr in eine solche Situation.
    Wenn aber selbst er beim Gedanken an einen Arztbesuch am Sonntag sofort an das Kaiser-Franz-Joseph dachte, an Schmerzensschreie und Katheter, wie musste es dann erst für Joana sein! Rument entschied sich gegen den Arzt, vorausgesetzt, der Ausschlag war nicht schlimmer geworden. Vielleicht war er sogar schon zurückgegangen. Das würde er genau überprüfen. Ein kleines Schuldgefühl regte sich, er unterdrückte es gleich. Nein, wenn er Joana nicht zum Arzt brächte, dann geschähe das ausschließlich um ihretwillen und keinesfalls, weil er sich die Beischlafoption offenhalten wollte. Das war ja klar. Er musste sie untersuchen. Er musste sich vergewissern, dass der Ausschlag nicht besorgniserregend war. Er wusste ja schon, was sie sagen würde. Sie würde sagen, solange die Stirn nicht anschwillt, müssen wir gar nichts unternehmen. Das Kalzium reicht. Aber er würde sich den Ausschlag anschauen, ganz genau, überall. Natürlich musste er so tun, als ob er sie unbedingt zum Arzt bringen wollte! Das wollte er ja sonst auch immer, also musste er es vorspielen, damit sie sich nicht wunderte. Alles musste so sein wie immer: Sie würde unvernünftig sein, und er würde sagen, lieber einmal zu oft als einmal zu wenig.
    Rument stellte die Teekanne auf das rote Holztablett, nahm eine hauchdünne chinesische Schale aus

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