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Laessliche Todsuenden

Laessliche Todsuenden

Titel: Laessliche Todsuenden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Menasse
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stand Rument auf, nahm den Apfelessig aus dem Schrank, maß zwei Esslöffel ab und goss ihn mit einem halben Liter lauwarmen Wasser auf. Den Essig machte er nie freiwillig, da ließ er sich immer bitten, und wenn sie vergaß, erinnerte er sie nicht. Sie trank den Essig für ihre Blase, das Zentrum ihrer Hysterie. Den Urin immer sauer halten, das mögen die Bakterien nicht, darum Apfelessig, Preiselbeersaft, Ascorbinsäure pur vom Finger geschleckt. Die Kräuterhexe war ganz anderer Meinung. Sie empfahl Goldrute und Bärentraubenblätter; damit das wirkt, muss der Urin aber unbedingt basisch sein. Darüber war mit Joana nicht zu reden. Als er einmal vorgeschlagen hatte, es doch wenigstens zu versuchen, da die Urinübersäuerung bei ihr ganz offensichtlich keine rauschenden Erfolge zeitigte, war sie so zornig geworden, dass sie vor seinen Augen einen Pin aus der Pinnwand riss und sich in den Handrücken trieb. Nachdem sie den braunen, von der Kräuterhexe liebevoll beschrifteten Papierbeutel mit dem Goldrutenkraut in den Mülleimer geworfen hatte, setzte sie ihm ein für allemal auseinander, dass das hier kein Tierversuch sei, dass sie nichts, aber auch gar nichts riskiere, was diese unvorstellbaren Schmerzen wiederbringen könnte, du hast ja keine Ahnung, du hast das ja noch nie gehabt, Männer haben ja nie etwas in dem Bereich, die sind maximal in ihrer Ehre gekränkt, wenn sie es sich manchmal mit der Hand machen müssen. Und schon im nächsten Satz war sie bei seiner Mutter angelangt, die sie nicht leiden konnte, was allerdings auf Gegenseitigkeit beruhte, er sei bald schon genauso wie sie, immer alles besser wissen, immer die ganze Welt zwangsbeglücken und sich erst dann richtig gut fühlen, wenn alles nach eurer Pfeife tanzt.
    Auf das alles hatte er keine Lust. Es war Sonntagvormittag, die Sonne schien durch die großen Altbaufenster ihrer Wohnküche herein, und Rument mischte friedlich ein Glas Apfelessigwasser auf einer Arbeitsplatte aus reinem Schiefer. Weißt du was, schlug er vor, wir sperren über Pfingsten einfach zu und fahren weg, was hältst du von Südfrankreich? Ein paar Tage wandern, du könntest ein bisschen fotografieren, gutes Essen, Blick aufs Meer.
    Nicht schon wieder Frankreich, stöhnte Joana, diese eitlen Franzosen, ich halt sie nicht aus. Ich möchte nach Italien, Capri, da wollte ich immer schon hin.
    Na gut, dann Capri, sagte Rument, der die Italiener insgeheim nicht mochte, sie waren zu laut, kippten überall ihren Müll hin und ihre vielgerühmten Kirchen, die waren doch meistens geschlossen. Aber egal, ein paar Tage lang keine Gäste und kein Stress, kein Großmarkt, kein Schweinsbratengeruch und keine Bierpfützen, ein paar Tage blauer Himmel und dazu noch das Meer, in das er sich tapfer stürzen würde, ganz egal, wie kalt auch immer es war.

Zorn

MAN FÄHRT DURCH DEN ORT, vorbei an schwarzgekleideten Frauen, die ruhig vor ihren Häusern sitzen, und biegt knapp vor der Ortsausfahrt scharf nach links ab. Plötzlich ist man im Wald, in einem grünen, summenden Gewölbe, alle Geräusche gedämpft oder verzerrt, wie unter Wasser. Ilka denkt hier oft an die Geschichten im ›Großen Feenbuch‹, das sie als Kind besaß, aber ihre eigenen Kinder sind für Feen nicht zu begeistern. Feen sind nicht cool, sondern kitschig, obwohl sie es nicht so ausdrücken würden.
    Die geteerte Straße bricht einfach ab, und der Regen wäscht seit Jahren eine immer tiefere Stufe in den Waldboden. Die Männer aus dem Ort, die grenzenloses Zartgefühl nur für ihre Fahrzeuge haben, bremsen fast bis auf den Stand ab und lassen den Wagen im Leerlauf darüberrollen. Selbst dann taumelt jedes Auto wie ein betrunkener Käfer, bevor es auf der Sandpiste aufsetzt. Nach Ilkas Ansicht bremst Leo immer zu spät und zu wenig, obwohl er die Problemstelle auch schon seit vier Jahren kennt. Irgendwann wird eine Achse brechen, und dann haben wir den Salat. Sie sagt aber nichts mehr, denn Leo würde sie dann »Frau Professor Hader-Grant« nennen, »heute mal wieder einen Krampf im Kontrollmuskel?« Ilka liebt ihren Mann, doch sie denkt schon lange darüber nach, warum Männer so viel größere Reservoire an Unernst haben als Frauen. Ob das ein Vor-, ein Nachteil oder eine unausweichliche genetisch-evolutionäre Gegebenheit ist. Sie ist bisher zu keinem Ergebnis gekommen, es scheint zu den Fragen zu gehören, die ungelöst schöner sind. Obwohl ihr Rätsel Angst machen.
    Die Kinder jubeln natürlich, wenn das Auto krachend

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