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Laessliche Todsuenden

Laessliche Todsuenden

Titel: Laessliche Todsuenden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Menasse
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gefallen, aber weder lesen sie die Zeitungen, in denen er manchmal schreibt, noch sehen sie seine Stücke, da sie, wenn überhaupt, nur ins Burgtheater gehen. Leo inszeniert aber fast nur an »theaterfremden Orten«.
    Ilka hingegen, in ihren wehenden Seidenkleidern und mit ihrer Vorliebe für ausgefallenes Besteck, stammt »beinahe aus dem Gemeindebau«, aber das hat Leo nur einmal zu scherzen gewagt, so schwarz war ihre Wut. Ilkas Vater konnte wegen der Naziverfolgung die Schule nicht abschließen. Er war ein kleiner Angestellter und hat ein Leben lang hart gearbeitet, um seinen Kindern Bildung in jeder gewünschten Länge zu ermöglichen. Und Ilkas Mutter hat einfach keinen Geschmack, »das kommt leider vor«, sagt Ilka. »Geschmack ist ein Talent wie Singen oder Autofahren, das macht ja auch jeder, obwohl es kaum einer kann.« Am Anfang ihrer Beziehung hat sich Ilka für die enge Neubauwohnung ihrer Eltern und die dazu disproportionale »Wohnlandschaft« von »Möbel Lutz« fast zu Tode geniert. Leo waren die Sofas völlig egal, ihm fehle da einfach Ilkas sensibler Spießigkeits-Nerv, neckte er sie. Ungerührt versank er jedes Mal in der Wohnlandschaft, empfing dort sein obligatorisches Bier und hoffte auf Geschichten über Ilkas Großvater, einen wackeren Sozialdemokraten, Todesopfer des Bürgerkriegs von 1934.
    Nach fünfzehn Jahren Ehe hat sich das Verhältnis der beiden zu den mintgrünen Kunstledermonstern und deren Implikationen zwar nicht umgekehrt, aber gewandelt. Obwohl Leo weiß und schätzt, welch blitzgescheite Frau er hat, hänselt er sie nun manchmal mit ihren irrationalen Geiz-Anfällen, die bestimmt ein Erbe ihrer ökonomisch beschränkten Kindheit sind. Sie hingegen ist entspannter geworden: Sie tut nicht mehr so, als entstamme sie einem Innenstadt-Palais, in dem man den ganzen Tag Mozart summte, und sie betrachtet den Unterschied zwischen Mutters Tischabfalleimer aus Plastik (»für eine saubere Tafel«) und den antik gebeizten Möbeln aus Vietnam, mit denen Leo und sie ihr Badehäuschen eingerichtet haben, als persönliche Entwicklung. Und nicht mehr als Flucht.
    Als sie langsam auf ihr schmiedeeisernes Gartentor zurollen, denkt Ilka zum x-ten Mal darüber nach, ob sie es entrosten und streichen sollen (und wenn, in welcher Farbe) oder ob es dann zu perfekt aussehen würde, wie sie manchmal befürchtet. Gezähmte Schäbigkeit, das ist hier ihr Faible. Leo ist bei der Gartenzaun-Frage überhaupt keine Hilfe, er entscheidet nach dem Lustprinzip. Wenn jemand darauf Lust hat, soll er oder sie sich ruhig wochenlang in Malerkluft ans Gartentor stellen, auch Leo selbst hat manchmal, nach schwierigen Inszenierungen oder nach schlechten Kritiken, auf solche Wahnsinnsaktionen Lust. Deshalb hat er im letzten Sommer, nachdem sein »Godot« in der Kapuzinergruft mehr oder weniger durchgefallen war, alle acht Fenster im ersten Stock abgebeizt und dann dreimal gestrichen. Das hat den ganzen Sommer gedauert, aber Ilka war klug genug, ihn einfach in Ruhe zu lassen. Nur den Farbton, ein schmutziges Elfenbein, hat sie ausgesucht.
    Ilka klappt den Schminkspiegel herunter und wirft einen Blick auf Joshi. Sie fragt sich, ob er daran denken wird, dass es seine Aufgabe ist, auszusteigen und das Tor aufzusperren. Er sieht nicht so aus, er starrt mit seinem typischen Träumerblick zum Fenster hinaus. Ihrer Ansicht nach müsste er spätestens am weißen Flieder, zwei Autolängen vor dem Tor, nach dem Schlüsselbund greifen, der wie immer in der Mittelkonsole liegt. Sie nimmt sich vor, nichts zu sagen, sich nicht umzudrehen und ihn aufmunternd anzusehen, sie wird abwarten und ihn in die Falle laufen lassen. Denn er geht ihr schon auf die Nerven, seit er mürrisch und viel zu spät beim Frühstück erschienen ist, und schon wieder in dieser zerrissenen, mit Filzstift bemalten Hose. Joshi ist zwar erst neun, aber manchmal denkt Ilka, er stecke schon mitten in irgendeiner noch unerforschten Frühestpubertät. Sie hat kürzlich gelesen, ein Pubertierender sei jemand, der gewissermaßen ein Schild auf der Stirn trage, mit der Aufschrift: »Wegen Umbau geschlossen«. So gesehen steckt Joshi aber in der Pubertät, seit er geboren wurde.
    Wenn Ilka vor Leo überhaupt ein Geheimnis hat, dann ist es das Ausmaß ihrer Befremdung über ihren erstgeborenen Sohn. Natürlich sprechen sie immer wieder über ihn, ja, über ihn am meisten von allen drei Kindern, trotzdem würgt Ilka manchmal die Angst, dass Leo noch nie richtig hingeschaut

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