Laessliche Todsuenden
war ein Allergieschub kein Haut-, sondern ein Immunsystemproblem. Rument hatte sich die Frage natürlich selbst gestellt. Er war zu dem Schluss gekommen, dass, was nicht nützte, zumindest nicht schaden würde, ein Klischee, das er sonst an Joana lieber nicht ausprobierte. Aber mit einem Produkt der Kräuterhexe wollte er es wagen. Und sie würde vielleicht zu bemerken belieben, dass er selbst beim Einkaufen an sie gedacht hatte.
Lieb von dir, sagte Joana, nahm die Creme und verschwand in ihrem Bad, das größer war und eine Eckbadewanne besaß. In der Tür rief sie noch, aber den Rücken musst du dann machen, dann sperrte sie zu. Über ihr Verriegeln im Bad hatte sich Rument am Anfang lustig gemacht, so lange, bis sie eine Bemerkung über die Verhältnisse in der winzigen Zinnergassen-Wohnung fallen ließ, einen kurzen Satz nur, der Vater – Rument konnte nicht anders, als ihn sich betrunken zu denken –, der jedenfalls absolut unaufschiebbar auf die Toilette musste, die pubertierende, dazu noch menstruierende Joana, die gerade duschte und ihre Hygieneartikel ausgebreitet hatte. Mehr hatte Rument nicht gebraucht. Seither lächelte er, wenn er hörte, wie sie sich einsperrte. Es war einer ihrer Spleens, es gehörte zu ihr. Sie war seine Joana, das blasse Mädchen mit dem wilden schwarzen Schopf, unvergleichlich eigenwillig, was sie oft missgelaunt wirken ließ. Sie hatte nur ihn auf der Welt. Seine Mutter und sein Bruder würden das nie verstehen, aber sie bemühten sich auch nicht. Im Lokal, da stand sie ihren Mann. Das wurde ja immer vergessen. Dieses zarte Persönchen schleppte Bierkrüge, Tabletts und Teller hin und her, oft über zwei Stunden im Mittagsgeschäft und dann noch einmal bis Mitternacht, das ›Blaubichler‹ war ein lang gestrecktes Lokal. Die Stammgäste mochten sie, weil sie keine normale Kellnerin war, sondern eine »Typ’n«, wie man hier sagte, ein Kauz, eine Persönlichkeit. Sie provozierten sie manchmal absichtlich, dann bekamen sie postwendend die verbale Abreibung, auf die sie gehofft hatten und die sie in Gelächter ausbrechen ließ. Manche von Joanas Antworten waren legendär, als »leise Zimperlotte, schwarze Stachelbraut« war sie von Franz Gregor sogar in einem Gedicht verewigt worden. Manchmal ließen sich Gäste von ihrer Art verschrecken, aber die waren dann einfach so hereingeschneit, Laufkundschaft, die nichts über das ›Blaubichler‹ wusste. Einmal hatte sich einer über ihren Ton beschwert, das war natürlich ein Deutscher gewesen. Ich möchte den Chef sprechen, hatte der zu ihr gesagt, da hatte sie fast gelacht. Auftragsgemäß holte sie Rument aus der Küche. Sie haben Streit mit meiner Frau, fragte Rument und setzte dabei das Gesicht auf, das er sonst nur für die allerunbeweglichsten Trinker zur Sperrstunde bereithielt. Ein Glück war, dass der Mann zögerte. Das steht doch bei euch in allen Reiseführern, fuhr Rument fort und wurde plötzlich ganz leutselig, in Wien sind die Kellner König, und der Gast ist das G’frast. Bring ihm einen Schnaps aufs Haus, Joana, Vogelbeer vom Gölles, doppelt.
Joana hatte offenbar vergessen, dass sie den Rücken von ihm eingecremt haben wollte, und da sie auf einmal komplett angezogen war, wollte Rument sie nicht mehr daran erinnern. Als er, endlich auch wieder fest geborgen in Unterwäsche, Hemd und Jeans, in die Küche kam, schnitt sie Obst. Als sie eine Orange nahm, sah sie ihn an.
Sag nichts, sagte sie, ich bitte dich.
Joana, begann er, ich will doch nur …
Wie oft soll ich es dir noch sagen, sagte sie gereizt, ich bin keine Allergikerin. Ich hab dreimal im Jahr ein paar Flecken, aber du, du tust immer so –
Okay, unterbrach er sie, ist in Ordnung. Ganz, wie du willst. Dann schwieg er und sah ihr zu, wie sie die Orange erst schälte, dann in Spalten teilte und schließlich die Spalten in kleine Würfel schnitt, die sie vom Brett in ihren Obstsalat schob. Jeder Schnitt tat ihm fast körperlich weh. Zitrusfrüchte, aggressiv wie sonst was. Für Kleinkinder empfahl man sie frühestens im zweiten Lebensjahr, hatte er kürzlich gelesen. Wenn nötig, würde er sie ins Spital fahren, das hieß, wenn sie ihn ließ. Er würde vorher telefonieren, er würde sie dort anmelden und die Papiere ausfüllen, und wenn sie aus dem Behandlungszimmer käme, wäre er schon da, da war er immer schon für sie da.
Du kannst mir inzwischen meinen Essig machen, bitte, sagte Joana, während sie Magerjoghurt über die Früchte schüttete. Gehorsam
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