Laienspiel
diese menschliche Eigenart nicht, die sich gerade hier im Allgäu allergrößter Beliebtheit erfreute, er nahm sie lediglich zur Kenntnis. Er selbst folgte diesem Verhaltensmuster, seit er denken konnte.
Mit einem gemurmelten Gruß setzte sich Kluftinger an seinen Schreibtisch. Je mehr Arbeit und vor allem Unannehmlichkeiten er an einem Tag auf sich zukommen sah, desto vernuschelter fiel sein »Guten Morgen« aus. Heute war es kaum mehr als ein Räuspern.
Doch als er seinen Computer eingeschaltet hatte und aufblickte, wunderte er sich. War er der Einzige, der dem heutigen Tag nichts Gutes abgewinnen konnte? Die Mundwinkel seiner Kollegen hatten sich zu einem breiten Grinsen verzogen. Selbst die österreichischen Kollegen lächelten, auch wenn es bei Bydlinski eher spöttisch als amüsiert aussah. Der Kommissar blickte von einem zum anderen, und wann immer er jemanden anblickte, schien derjenige besonders bemüht, nicht in lautes Gelächter auszubrechen. Er sah an sich hinab: Hatte er schon wieder etwas Komisches an? Wenn, dann wäre das streng genommen sowieso Erikas Schuld gewesen. Seit vielen Jahren legte sie ihm auf dem »G’wandsessel« im Schlafzimmer immer ihren Vorschlag für seine Tagesgarderobe zurecht. Meist hielt er sich an ihre Empfehlungen, da es ihm im Großen und Ganzen sowieso egal war, was er trug – solange es bequem und zweckmäßig war.
Aber heute? Er konnte nichts Auffälliges an seiner Kleidung entdecken. Vor allem nicht im Gegensatz zu gestern.
»Brauchen Sie noch irgendwas?« Sandys Stimme riss ihn aus seinen Gedanken. Er wollte gerade verneinen, doch als er aufsah, bemerkte er, dass sie nicht ihn, sondern Bydlinski ansah.
»Nein, wir rufen Sie dann schon«, antwortete Kluftinger unwirsch und blickte ihr nach. Als sie die Tür hinter sich zuzog, stutzte er. An der Innenseite klebte ein Foto. Für einen kurzen Moment war er sich nicht sicher, ob es schon immer da gehangen hatte oder nicht. Dann erst erkannte er, was darauf abgebildet war: Es war ein bärtiger Mann in grüner Strumpfhose, mit einem breiten Ledergürtel und … das war er selbst! Sein Kopf wurde heiß. Wortlos stand er auf, würdigte seine Kollegen dabei keines Blickes und riss das Foto von der Tür. Während er es zusammenknüllte, presste er ein »Willi!« aus seinen zusammengebissenen Zähnen hervor.
Im selben Moment wurde die Tür aufgerissen und schlug gegen den Kommissar. Lodenbacher sah ihn verdutzt an, entschuldigte sich jedoch nicht, sondern preschte zu den beiden Kollegen aus dem Nachbarland, die vor Kluftingers Schreibtisch saßen. Sofort ließ er eine Schimpfkanonade in einem solchen Tempo auf die beiden niedergehen, dass selbst Kluftinger nur Bruchstücke verstand. Dass sie »no wos zum Hearn kriagn wearn« bekam er mit, dass ihre Vorgesetzten in Österreich wegen des Vorfalls »bös gschimpft« hätten und dass sie »auf der Stei« nach Hause fahren sollten. Dann machte Lodenbacher so ruckartig kehrt, dass er dabei wie ein Militär aussah, lief zackig zur Tür und verschwand.
Bydlinski und Haas schienen ehrlich betroffen von dem unerwarteten Ausbruch und machten Anstalten, sich zu erheben.
»Kommt ja überhaupt nicht in Frage«, sagte Kluftinger bestimmt. Die beiden setzten sich wieder und sahen ihn fragend an. »Sie sagen uns jetzt erst einmal genau, was los ist, vorher geht hier niemand irgendwohin. Wir machen das folgendermaßen …« Er blickte ein paar Sekunden zur Decke und fuhr dann fort: »Sie können mit dem Kollegen Hefele in sein Büro gehen. Benutzen Sie einfach alles, was Sie brauchen – Fax, Telefon, Computer, damit Sie uns in …«, wieder blickte er kurz zur Decke, »… zwei Stunden eine detaillierte Präsentation Ihrer bisherigen Untersuchungsergebnisse abliefern können. Der Kollege wird Ihnen dabei behilflich sein.«
Weil die Österreicher nicht sofort aufstanden, hob Kluftinger die Augenbrauen und sagte: »Noch Fragen?«
Verdutzt sahen sich die beiden an. Offenbar waren sie einen solchen Umgangston nicht gewohnt, doch er zeigte Wirkung. »Na, na … is eh klar ois«, murmelten sie und erhoben sich. Hefele begleitete sie widerwillig hinaus.
Die Blicke der anderen Kollegen folgten ihnen, wobei Maier seine Freude darüber kaum verbergen konnte, dass diesmal nicht er den »Deppen-Job«, wie sie solche Aufträge nannten, erledigen musste.
»Kann sich einer von euch erklären, warum der Chef wie ein HB-Männchen hochgegangen ist?«, fragte Kluftinger schließlich, als die drei
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