Lakritze - Thueringen Krimi
durcheinander gewesen sein, wenn so etwas niemandem auffiel. »Haben Sie dort jemanden kennengelernt? Sich mit jemandem unterhalten?«
Viola hob die Schultern. »Ich kann mich an keinen einzigen Gast erinnern. Aber ich bin eher schüchtern. Lilly ist ganz anders. Sie geht … ist immer offen auf Menschen zugegangen.«
»Mit wem hat Frau Mannasch gesprochen? Denken Sie nach.«
»Ich weiß nicht. Ich erinnere mich an niemanden.«
Feuerbirk fing einen warnenden Blick der Psychologin auf. »Wenn Sie wollen, können Sie nach Hause gehen. Sie können aber auch in der Obhut von Frau …« Er blickte zu der Psychologin, deren Namen er nicht kannte.
»Grünberg.«
»… von Frau Grünberg bleiben«, sagte er und nahm sich vor, der Psychologin einen Zettel mit offenen Fragen zu übergeben. Vielleicht gelang es ihr, mehr aus der Zeugin herauszuholen.
Viola reagierte nicht. Sie sah nicht auf, als er sich von ihr verabschieden wollte. Mit einem Schulterzucken winkte er Frau Grünberg zu, dann ging Feuerbirk.
Auf dem Weg zu seinem Büro schaute er auf die Uhr. Siebzehn vierundfünfzig. Fast Abend, und auf seinem Schreibtisch stapelten sich noch immer jede Menge Unterlagen, die er sichten wollte. Eine lange Nacht lag vor ihm, in der wieder einmal das Feldbett zum Einsatz kommen würde, das zusammengefaltet in der Ecke stand.
Feuerbirk strich sich über das Kinn. Er musste sich rasieren, morgen früh. Hoffentlich hatte Zagemann einen Reserverasierapparat in seinem Schreibtisch gelagert. Feuerbirk selbst rasierte sich gewöhnlich nass, aber sein Rasierzeug befand sich im Waldidyll.
Vielleicht wäre es klüger, er würde sich in die Pension zurückziehen. Dort konnte er die Akten in Ruhe studieren. Und außerdem war Carla dort. Ihr helles Lachen klang ihm noch im Ohr, er hätte sie gern geküsst. Schnell verscheuchte er den Gedanken an Carla in die hinterste Ecke seines Gehirns.
Unschlüssig betrat er sein Büro. Der Anblick des überfüllten Schreibtisches jedoch machte ihm die Entscheidung leicht. Rasch packte er die Akten zusammen und machte sich auf zum Waldidyll.
Knubbel schlug die Augen auf. Im ersten Moment wusste er nicht, wo er war. Ihm war heiß, Hals und Kinn waren nass von Schweiß. Er tastete um sich und fühlte eine Decke auf seinem Körper. Weicher Stoff, der ihn an das Fell seiner Tiere erinnerte.
Langsam wandte er den Kopf und erkannte die wuchtige Schrankwand, die mit Nippes aller Art gefüllt war. Es waren überwiegend Mitbringsel von dem Wochenmarkt, den eingewanderte Vietnamesen im nahe gelegenen Tschechien betrieben. Vor der Schrankwand standen Sessel und der Tisch. Knubbel konnte gerade über dessen Kante schauen.
Er lag im Wohnzimmer auf der Couch, ein dickes Kissen unter dem Kopf und die Decke aus Kaninchenfell über dem Leib. Helene musste ihn ins Haus geschleppt und versorgt haben.
Er konnte sich an kaum etwas erinnern, nur an die Frau, diese Carla. Sie hatte mit ihm gesprochen, aber er wusste nicht mehr, was sie gesagt hatte. Knubbel konnte sich nur noch an ihre weit aufgerissenen Augen entsinnen. Danach war ein schwarzes Loch in seinem Gedächtnis. Wie der Weltraum, der grenzenlos war und schön. So war es immer, wenn er einen Anfall überstanden hatte. Er liebte diesen Zustand des schwerelosen Glücks, wenn er sich frei fühlte von Schuldgefühlen.
Die Tür wurde geöffnet, und leise Schritte tappten näher. Helene, sie sorgte sich um ihn. Schnell schloss Knubbel die Augen. Sie sollte nicht sehen, dass er wach war. Er mochte sich nicht ihrem forschenden Blick stellen. Noch nicht. Doch irgendwann würde er die unausgesprochenen Fragen beantworten müssen. Irgendwann würde er eine vertraute Person brauchen.
Als er das leise Klicken vernahm, mit dem die Tür ins Schloss fiel, blinzelte er. Die Schwester hatte eine Schale mit Süßigkeiten auf den Tisch gestellt. Er richtete sich auf und untersuchte den Inhalt. Gummibären und Pralinen, keine Lakritze. Enttäuscht ließ er sich wieder zurückfallen.
Speichel sammelte sich in seinem Mund, als er sich den herbsüßen Geschmack der Lakritzbonbons vorstellte. Er mochte die Dinger. Ira, die Nachbarstochter, hatte ihm früher die kleinen Pastillen geschenkt. Er hatte sie gekaut, während er zuschauen musste, wie Ira ihren dürren Leib vor ihm verrenkt hatte.
Irgendwann hatte es die Pastillen nicht mehr zu kaufen gegeben. Eine Zeit lang hatte Helene bunte Tütchen mitgebracht, wenn sie im Supermarkt gewesen war. Darin waren Lakritzbonbons, die
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