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Lakritze - Thueringen Krimi

Lakritze - Thueringen Krimi

Titel: Lakritze - Thueringen Krimi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sylke Tannhaeuser
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mit süßem Schaumzucker ummantelt waren. Er hatte sie gegessen, aber nie wirklich gemocht. Später hatte er die in schwarz-weißes Papier gewickelten Bonbons entdeckt, die schmeckten ihm am besten. Sie waren ehrlich, sie hatten kein pastellfarbenes Blendwerk nötig. Bonbons für echte Kerle. Männerbonbons.
    Er fuhr sich mit der Zungenspitze über die Zähne. Sein Magen knurrte, er hatte solchen Hunger, als hätte er tagelang nichts gegessen.
    Wie lange mochte er schon auf dem Sofa liegen? Das letzte Mal hatte er zwei Tage gebraucht, ehe er sich einigermaßen erholt hatte. Er schaute zu dem Abreißkalender, der zwischen dem Fernsehgerät und der Schwankwand hing. Mittwoch, der erste Juni. Internationaler Kindertag.
    Er schwitzte stärker und schüttelte die Decke ab. Am liebsten hätte er auch die alten Erinnerungen wie einen Schwarm lästiger Fliegen beiseitegewischt, doch er konnte es nicht. Je mehr er sich dagegen wehrte, umso heftiger drangen sie auf ihn ein.
    Stumm bewegte er die Lippen und formte den Text eines Liedes. Iras Lied. »Fuchs, du hast die Gans gestohlen.« Sie hatte es jedes Mal geträllert, wenn sie im stillgelegten Steinbruch gespielt hatten. Ira die Lehrerin, die lockte und verletzte, er der Schüler, brav und gehorsam. Er kannte den Ablauf noch immer auswendig, Wort für Wort. Erst hatte sie den Liedtext gesungen, dann bei jeder Bewegung geredet. Es hatte lange gedauert, ehe er gewusst hatte, dass Ira böse war. Bitterböse.
    Er hatte ihr sein Leben angeboten, doch sie hatte nur gelacht. Es hatte nur einen Ausweg gegeben, eine Lösung. Er hatte es tun müssen. Musste es noch immer, wieder und wieder.
    Er begann zu weinen, die Tränen tropften auf die Decke. Hastig rieb er an den nassen Flecken herum, als könne er sie auf die Art unsichtbar machen.
    Aus dem Treppenhaus drang Lachen herein. Das musste diese Carla sein. Knubbel richtete sich auf, doch er war zu schwach. Er konnte sich nicht halten und fiel ins Kissen zurück. Ohnmächtig ballte er die Fäuste.
    Carla war für ihn unerreichbar. Er hörte, wie sich ihr Lachen in der Ferne verlor. Müde schloss er die Augen. Nur einmal noch, ganz kurz, riss er sie wieder auf.
    Die Kaninchen, jemand musste für die Tiere sorgen! Dann fiel ihm ein, dass Helene sich gewiss schon um alles gekümmert hatte.
    Helene Ritter konnte sich nur schwer von Bartwicks Anblick losreißen.
    Nach dem Abendbrot, das er mit Carla Schreiber wie immer außerhalb der Pension gegessen hatte, war er in ihre Küche gekommen, um nach einer Flasche Wasser zu fragen. Während Helene das Wasser aus dem Kasten unter der Spüle holte, musterte sie ihn. Am Morgen noch war er blond gewesen. Jetzt war sein Haar schwarz. Er wirkte anders, wie ein neuer Mensch.
    »Gefällt Ihnen mein neuer Schnitt?«, fragte Bartwick.
    Sie hörte das Lächeln zwischen seinen Worten und nickte. »Er steht Ihnen wirklich gut. Auch die Farbe.« Sie zögerte einen Moment, dann setzte sie hinzu: »Vielleicht sollte ich auch einmal …« Ihre Wangen wurden heiß, und sie kramte länger als nötig im Küchenschrank herum.
    »Sie müssten die Haare offen tragen.«
    Helene hob den Kopf. »Meinen Sie?«
    »Unbedingt.«
    Sie richtete sich auf und löste mit einer schnellen Handbewegung die Spange, die ihr dunkelblondes Haar hielt. Die Locken fielen weit über ihren Rücken herab. Sie schüttelte sie, um sie in Form zu bringen.
    »Darf ich?« Bartwick nahm eine Strähne in die Hand.
    Helene wagte kaum zu atmen. Sie hielt still, als könne sie damit die Zeit anhalten.
    »Schwarz«, murmelte er. »Schwarze Flut, heiße Glut.«
    Die Worte brachten sie zur Besinnung. Wer weiß, wen der Gast vor sich sah. Sie jedenfalls war blond, nicht schwarz. Erschrocken hob sie den Kopf.
    Sofort trat Bartwick einen Schritt zurück. »Verzeihen Sie mir. Ich bin Ihnen zu nahe getreten.«
    Gleich würde sie anfangen zu heulen. Helene blinzelte angestrengt, um die Tränen zurückzuhalten. »Ich bin Ihnen nicht böse«, sagte sie leise und presste die Hände auf die Brust. Ihr Herz trommelte viel zu laut, der Mann musste es gewiss hören.
    Wie konnte sie sich nur vor einem Gast so gehen lassen? Mit fahrigen Griffen raffte sie ihre Haare zu einem Zopf zusammen. Das Klicken, mit dem die Haarspange einrastete, gab ihr Sicherheit. Sie nahm die Wasserflasche und den Öffner und reichte beides zu Bartwick. Als sich ihre Hände berührten, durchfuhr sie ein Kribbeln. Erschrocken schaute sie ihn an. Seine Augen weiteten sich, als ob auch er

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