Lallbacken
und wahrscheinlich wollte sie sagen: nicht blutig, nicht medium, gut durch. Also Schuhsohle. Meck-Pomm-Cuisine. Schon bei der Soljanka hob sie mahnend den Zeigefinger: »2010 ist nicht mehr so weit weg, wie wir uns das vor zehn, fünfzehn Jahren vorgestellt haben.« Richtig. Und heute ist es noch nicht so lange her wie nächstes Jahr.
Angela Merkel, frühlingsfrisch, unverbraucht, spritzig-witzig, appetitlich und trotz ihrer Jugend schon erstaunlich altbacken, gewann auch die Herzen der von der Bildungspolitik beschädigten Jugend, wenn sie bekanntgab: »Patriotismus – das ist das Bekenntnis zur Geschichte der Nation mit seinen Höhen und Tiefen.«
Die jungen Leute ahnten ja noch nicht, dass Patriotismus nur die Religion der Zukurzgekommenen ist. Und die eigenwillige Grammatik der Kanzlerin kam echt cool und sympathisch rüber, vor allem als sie dann noch charmant lächelnd anmerkte: »Ich bedanke mich für das in mich gesetzte Vertrauen und werde mich bemühen, es in die Tat umzusetzen.«
Wie sie das Vertrauen in die Tat umsetzen wollte? Selbstverständlich mit einem Bekenntnis zur deutschen Sprache mit all seinen Regeln.
Kanzlerin Merkel verfügt über einen gediegenen Wortschatz: Konjunkturmotor, Jobmaschine, Wohlstandsfundament, so was geht ihr immer flott von der Zunge. Oder »Entkoppelung«. Die Entkoppelung, und zwar die konsequente Entkoppelung der Löhne von irgendwas und irgendwem – das ist ihr sozusagen ein Herzensbedürfnis. Sie spricht auch gern von »überwölben«. Das nämlich sollen ihre »großen politischen Ziele und Zusammenhänge« mit der Realität machen – überwölben. Sie will das Leben ihrer Untertanen mit dem »Nachhaltigkeitsfaktor« überwölben.
Für ein wenig Irritation, jedenfalls in ihrer eigenen Partei, sorgte allerdings Merkels Ausspruch: »Wir müssen ehrlich sein!« Ob sich Frau Merkel damit »ganz bewusst« in die Nähe von Marcel Proust begeben hat – »Proklamiert zu haben (als Führer einer politischen Partei oder was sonst immer), dass es abscheulich ist zu lügen, zwingt in der Mehrzahl der Fälle dazu, mehr als die anderen zu lügen, ohne dass man deswegen die feierliche Maske oder die erhabene Tiara der Gesinnungstreue ablegen darf« –, das ist zweifelhaft. Dieser französische Dichter gehört ja vermutlich nicht zur Pflichtlektüre in einer Partei.
Schon bald nach Antritt ihrer Kanzlerschaft begann Frau Merkel zu reifen. Sie reifte zusehends, sie reifte rasant, sie wurde einer reifen Williams Christbirne immer ähnlicher, kein Wunder, dass sie die Menschen draußen im Land manchmal an den späten Kohl erinnerte.
Aber auch ein Unterschied zwischen den beiden wurde deutlich: Kohl suchte sein Heil im Aussitzen. Merkel duckte sich unter den Problemen weg. Zwar schrieb Forbes , Kanzlerin Merkel sei die mächtigste Frau der Welt, aber die Frage, worin diese Macht bestand und wozu sie nützlich war, blieb unbeantwortet.
Und tatsächlich reichte ihre Macht nicht einmal aus, Münteferings Herz zu entflammen oder die Langeweile aus den Leitartikeln zu vertreiben. Kanzlerin Merkels Politik pflegte die Tugend der Bescheidenheit, und mit der bescheidenen Qualität ihrer Reden wollte sie demonstrieren, wie weit ihre Reformbemühungen um ein intellektuelles Abspecken bereits vorangekommen waren. Mit Frau Merkel legte sich der gleiche indolente, dumpfe, trübe Dunst über das Land wie zu Kohls Zeiten, der allen das Atmen erschwerte, die nach einem Ausweg aus der Oggersheimer Verelendung suchten.
Frau Merkels Erfolgsrezept bestand darin, zu keiner Frage eine Meinung zu vertreten. Worüber auch immer im Land gestritten wurde, die Kanzlerin hielt sich raus und wurde mit hohen Bekanntheitsgraden belohnt. Frau Merkel hätte auch den Vorsitz der SPD übernehmen können, die Genossen hätten das möglicherweise gar nicht gemerkt, geschweige denn eine feindliche Übernahme vermutet. Merkels Credo lautete: »Wer arbeitet, muss mehr in der Tasche haben als der, der nicht arbeitet und von staatlichen Transfers lebt.«
Außerdem, sagte sie weiter, müsse der Transferleistungsempfänger strikt dazu verpflichtet werden, sich nützlich zu machen, etwa durch Arbeit in öffentlichen Anlagen. Das machte Hoffnung, dass die staatlichen Transferleistungen an von ihr weggemobbte und ausgeschiedene Politiker und -innen eines Tages drastisch reduziert würden und dass die Herrschaften dann auf Bürgersteigen Hundescheiße und Plastiktüten aufpicken müssten.
Verbal steuerte die Kanzlerin im
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