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Lamento

Titel: Lamento Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Stiefvater
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widmete ich mich dieser anderen Stimme mit wahrer Leidenschaft. Sie kletterte die Tonleiter empor, bitter und lieblich, und Lukes Flöte fiel wieder ein, mit tiefen Tönen, die meinen nach oben folgten und eine beinahe unerträgliche Intensität erzeugten.
    Dann begann ich den letzten Vers zu singen, den ich gerade erst von Luke gelernt hatte. An jedem anderen Tag hätte ich den Text vergessen, aber nicht heute, mit der Erinnerung anseine Stimme im Ohr. Die Worte schienen eine neue Bedeutung anzunehmen, als ich sie sang; sie waren wirklich.
    Ich
war
die Feenmaid.
»Im Traume zieht es mich zu dir
Zum Laut der Harfe klage ich
Denn als du an jenem Tage starbst
Mit meinem Herzen zahlte ich
Im Traume zieht es mich zu dir
Mit gebrochenem Herzen klage ich
Und nie mehr sing ich dieses Lied
Die Harfe erklingt nie mehr für mich.«
    Beim letzten Refrain grinste Luke so breit, dass er kaum noch spielen konnte. Ich ließ meine Stimme sacht verklingen, sich auflösen wie den letzten Flötenton, und dorthin zurückkehren, woher diese unglaubliche Improvisation gekommen war.
    Im Saal war es vollkommen still.
    Luke lächelte in sich hinein, und dann sprang das Publikum auf, die Leute klatschten und pfiffen. Sogar die Juroren in der ersten Reihe erhoben sich. Ich biss mir auf die Lippe, während mir die Hitze ins Gesicht schoss, und wechselte einen Blick mit Luke.
    Schließlich ließen wir uns von der Bühne führen, um sie für die nächsten Teilnehmer frei zu machen. Luke nahm meine Hand. Sein Gesicht strahlte, als würde es von innen erleuchtet. »Gut gemacht!« Er ließ meine Hand los. »Braves Mädchen! Ich muss jetzt gehen, aber ich komme zum Empfang heute Abend zurück.«
    »Du musst
was?
«, fragte ich, doch er war schon im Gedränge hinter der Bühne verschwunden. Ich fühlte mich seltsam verloren.

Zwei
     
     
     
     
     
    Zieh bloß etwas Anständiges an«, befahl Mom und schloss meine Zimmertür hinter sich.
    Danke für den heißen Tipp
, dachte ich und starrte auf die Klamotten, die sie auf meinem Bett ausgebreitet hatte. Ich hatte keine Ahnung, was ich zu dem Empfang anziehen sollte, wusste aber jetzt schon, dass es nichts von dem sein würde, was sie aus meinem Kleiderschrank geholt hatte.
    Ich hielt noch das letzte Stück in der Hand, das sie vorgeschlagen hatte, ein Kleid, in dem ich aussah, als sei ich aus einem Seniorenheim entlaufen. Ich warf es auf den Stapel all der anderen viel zu förmlichen Kleider und Hosenanzüge auf dem Bett und schaute aus dem Fenster. Bauschige weiße Wolken zogen über den Nachmittagshimmel, dämpften die Hitze ein wenig und verbargen die schwache Mondsichel – falls sie überhaupt noch dort oben stand.
    Statt mich für den Empfang anzuziehen, legte ich eine CD ein, schob den Kleiderhaufen ans andere Ende des Bettes undwarf mich auf die Decke. Die wilden schottischen Reels auf der CD wirbelten in meinem Kopf umher und beschworen die lebhafte Erinnerung an den Auftritt herauf.
    Heiliger Strohsack. Luke Dillon war echt. Ich konnte es immer noch kaum fassen. Schließlich marschierten Leute nicht einfach so aus Träumen heraus.
    Ein paar Minuten lang gestattete ich mir den Luxus, faul auf dem Bett zu liegen und an Luke zu denken. An seine sorgfältige Art zu reden, jedes Wort auszusprechen, als sei es etwas Kostbares. Die hauchige Stimme seiner Flöte, die einem flüsternd Geheimnisse und Sehnsüchte anvertraute. Seine unglaublich hellen Augen, die wie Glas aussahen. Ich malte mir aus, wie er meine Hand hielt und mich zu einem seiner Geheimnisse machte. Ich hatte ein schlechtes Gewissen, weil ich hier herumlag und von Luke träumte, obwohl ich mich fertig machen sollte. Aber ich war noch nie in einen Jungen verknallt gewesen.
    Na ja, das war gelogen. In der siebten war Rob Martin in meiner Klasse gewesen, ein dunkelhaariger Junge mit einem Gesicht wie ein grüblerischer, finsterer Engel. Zumindest bildete ich mir das ein. Im Schutz meiner einzigartigen Gabe der Unsichtbarkeit beobachtete ich ihn Tag für Tag, ohne je den Mut aufzubringen, ihn anzusprechen. Ich wusste, dass er irgendeine Art Heiliger sein musste, denn er erhob die Stimme gegen jede Tierquälerei und stocherte das Fleisch aus allem, was in der Cafeteria auf den Tisch kam. Einmal beschimpfte er unseren Lehrer vor der ganzen Klasse, weil er eine Lederjacke trug. Er gebrauchte Wörter wie »Anathem« und »Pogrom«.
    Er war mein Held.
    Wenige Tage vor den Sommerferien beschattete ich Rob wieder einmal während der Pause und

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