Lamento
Wir suchen besser deine Eltern.«
»Ich komme gleich nach.« Ich rückte von ihr ab. »Da drüben stehen Freunde von mir.« Ich war keine besonders gute Lügnerin, aber Delia auch keine besonders gute Zuhörerin, also trennten wir uns einvernehmlich. Sie schlug den Weg zu den Zelten ein, während ich mich in die entgegengesetzte Richtung verdrückte. Ich hatte den Blick über das Gedränge am Büfett schweifen lassen, Luke jedoch nirgends entdecken können, also ging ich um das Zelt herum, in dem das Kammermusik-Quartett spielte.
Hier fiel die Sonne schräg durch die Bäume auf der anderen Straßenseite und warf lange goldene Streifen auf den Rasen. Ich spazierte auf einem dieser Lichtstreifen entlang und sah zu, wie mein endlos langer Schatten vor mir herlief. Auf einmalstieg mir der Duft von Kräutern in die Nase. Der Geruch war so stark und kam so plötzlich, dass ich unwillkürlich nachsah, ob ich etwas zertreten hatte. Aber unter meinen Sandalen war nichts als Klee.
Beim Anblick der Blätter ging ich in die Hocke. Tatsächlich, da wuchs ein Büschel vierblättriger Klee zwischen dem dreiblättrigen. Ich pflückte ein Kleeblatt ab, richtete mich auf und betrachtete es. Ein Glücksbringer.
»Ich habe dich spielen gehört.«
Ich blinzelte und blickte zu einem jungen Mann mit rotem Haar hoch. Sein Gesicht war voller Sommersprossen, trotzdem sah er unglaublich gut aus – wie aus einem Hochglanzmagazin. Er besaß das adrette, sorgsam gepflegte Aussehen eines Sprösslings mit Treuhandfonds.
Ich war nicht sicher, was ich darauf erwidern sollte, also sagte ich nur: »Ach ja?«
Er ging um mich herum, als wolle er mich studieren. »Ja.« Wieder umkreiste er mich. Ich drehte mich um, so dass ich ihn im Blick behalten konnte. »Wirklich beeindruckend. Besser, als ich erwartet hätte.«
Besser, als er von
wem
erwartet hatte? Von einem Mädchen? Einer Schülerin? Einer Harfenistin? Oder von mir?
»Danke«, sagte ich zurückhaltend. Er zog einen weiteren Kreis und lächelte. Wieder roch ich diesen Kräuterduft, und jetzt vermutete ich, dass er von dem Jungen kam.
»Wirklich recht beeindruckend.«
»Spielst du selbst?«, fragte ich.
Er grinste. »Tue ich je etwas anderes?«
Wieder umkreiste er mich, war unablässig in Bewegung, und mit einem Mal veränderte sich sein Grinsen auf eine kaum merkliche Weise, die mir trotzdem den Magen in die Kniekehlen sacken ließ. »Du riechst gut.«
»Deirdre.« Beim Klang der vertrauten Stimme fuhr ich herum.
Luke packte mich abrupt am Arm und schlug mir dabei das Kleeblatt aus der Hand. Erleichtert über die Rettung sagte ich: »Gut, dass du da bist. Dieser Typ …« Ich drehte mich nach dem Freak um, aber da war niemand, nur ein schwacher Hauch von Rosmarin oder Thymian hing in der Luft. Hier gab es reichlich Verstecke, wohin er hätte abtauchen können, sobald ich ihm den Rücken zugewandt hatte. Das bedeutete nur, dass er tatsächlich nichts Gutes im Sinn gehabt hatte. Warum sonst sollte er sich verstecken? »Da war so ein Typ, er war eben noch hier.«
Luke blickte hinter mich. »Da ist niemand.« Er kniff die Augen zusammen.
»Niemand.«
Ich bekam eine Gänsehaut. Natürlich hätte ich Luke einfach glauben können, doch jemanden wie diesen sommersprossigen Kerl vergaß man nicht so schnell wieder. »Da war jemand«, beharrte ich unglücklich. »Irgendein Freak.«
»Das glaube ich gern«, sagte Luke laut. »Komm. Lass uns in die Zivilisation zurückkehren. Was machst du überhaupt hier draußen?«
Ich blickte mich um. Ohne es zu bemerken, hatte ich mich erstaunlich weit von den Zelten entfernt, so dass das Kammerquartett kaum noch zu hören war. »Ich – ich wollte nur meiner nervtötenden Tante entkommen.«
»Gehen wir lieber näher zu ihr, fort von unsichtbaren Freaks«, schlug Luke vor. Er legte seine Hand in meinen Rücken und schob mich mit einer kaum spürbaren Berührung herum, in Richtung des bunten Treibens. »Hübsches Kleid übrigens. Steht dir gut.«
Insgeheim schwoll ich an vor Stolz. »Ich weiß«, hörte ich mich zu meiner eigenen Überraschung sagen und feixte.
Luke sagte: »Überheblich grinsen gehört sich nicht«, aber er lächelte dabei. »Also, erzähl mir von deiner nervtötenden Tante.«
Ich seufzte, als wir uns dem Essenszelt näherten. »Da ist sie, dort drüben neben dem Zelt. Sie geht gerade meiner Mom auf die Nerven.«
Er blieb stehen und beobachtete Delia und Mom reglos – eine Eigenschaft an ihm, die mir immer besser gefiel. Er hörte
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