Lamento
Glück«, sagte Luke.
»Ja. Danke.« James streckte die Hand aus und streifte meine Finger. »Bis später, Dee.«
»Er ist gern anders«, meinte Luke, nachdem er verschwunden war.
Ich nickte.
»Im Gegensatz zu dir«, fügte er hinzu.
Ich runzelte die Stirn. »Das stimmt nicht. Ich bin gern anders. Aber seltsamerweise ist das, weswegen mich die Leute außerhalb der Schule bemerken, genau das, was mich
in
der Schule unsichtbar macht.« Ich zuckte mit den Schultern. »James ist mein einziger richtiger Freund«, erklärte ich und fürchtete augenblicklich, zu viel gesagt zu haben und jetzt auch für ihn unsichtbar zu werden.
Aber er rieb nur gedankenverloren seine Flöte, ehe er mich wieder ansah. »Ihr Pech.«
»
Deirdre Monaghan. Luke Dellom.«
Ich fuhr herum, als ich meinen Namen aus dem Lautsprecher hörte.
»Immer mit der Ruhe«, sagte Luke. »Dass du in Ohnmacht fällst, können wir jetzt nicht gebrauchen. Die werden schon warten.« Er stand auf, schulterte meine Harfe, reichte mir das Flötenkästchen und hielt mir die Tür auf. »Nach Euch, meine Königin.« Ich schloss kurz die Augen, als die Tür hinter uns zufiel, und wartete darauf, dass meine Nerven wieder verrückt spielten.
»Weißt du, dass manche Menschen einfach alles können?«
Ich öffnete die Augen und sah ihn an. »Wie meinst du das?«, fragte ich und schlug den Weg zur Aula ein.
Immer mehr laut schwatzende Schüler standen auf den Fluren und warteten, doch ich hatte keine Schwierigkeiten, Lukes Stimme hinter mir zu hören. »Ich meine, man sagt ihnen, sie sollen ein Lied schreiben, und sie legen einem auf der Stelle eine Sinfonie hin. Man sagt ihnen, sie sollen ein Buch schreiben, und sie verfassen einen Roman an einem Tag. Man sagt ihnen, sie sollen einen Löffel bewegen, ohne ihn anzufassen, und sie bewegen ihn. Wenn sie etwas wollen, lassen sie es geschehen. Beinahe wie Wunder.«
»Äh, nein«, sagte ich. »Solche Leute kenne ich nur aus Science-Fiction-Filmen. Kennst du denn welche?«
Lukes Stimme wurde leiser. »Wenn ich welche kennen würde, würde ich sie bitten, ein paar Wunder für mich zu wirken.«
Wir schoben uns zum hinteren Teil der Bühne durch, wo das Duett, zwei Trompeten, noch vor der Jury spielte. Die beiden waren geradezu ekelerregend gut.
Luke ließ sich nicht beirren. »Was mich verrückt macht, ist, dass man auf der Straße einfach an so jemandem vorbeigehen könnte. Dass man
selbst
so jemand sein könnte und es nie erfahren würde, wenn man es nicht versucht.«
»Du sprichst von den Improvisationen, oder?« Ich suchte nach jemandem, der hier zuständig war. Wieder meldete sich dieses leichte Schwindelgefühl, während glühende Hitze meinen Körper durchströmte – ein klares Zeichen, dass ich gleich entweder kotzen oder umkippen würde. »Schon verstanden. Ich hätte nie erfahren, dass ich so improvisieren kann, wenn du mich nicht dazu gezwungen hättest.«
»Deirdre Monaghan und Luke Dillohm?« Vor uns stand die nächste Frau mit einem Klemmbrett, die Lukes Namen grässlich falsch aussprach. »Gut. Sie sind als Nächste dran. Warten Sie, bis die beiden anderen die Bühne verlassen haben, dann wird man Sie ankündigen. Sie dürfen kurz etwas zu Ihrem Stück sagen, wenn Sie möchten.
Kurz
.« Mit gehetzter Miene wandte sie sich den Musikern hinter uns zu und wiederholte ihre Anweisungen.
»Ich glaube nur, dass du dich selbst nicht genug antreibst«, fuhr Luke nahtlos fort. »Du gibst dich mit dem Gewöhnlichen zufrieden.«
Seine Worte ließen mich aufhorchen. Ich wandte mich ihm zu und sah ihm ins Gesicht.
Ich gebe den Ton an.
»Gewöhnlich sein will ich nicht.«
Luke lächelte mich an, oder vielleicht auch jemanden hinter mir, und seine Miene war undurchdringlich. Er zog ein Fläschchen Augentropfen ohne Aufschrift aus seiner Tasche.
»Trockene Augen?«
»Merkwürdige Augen. Und heute Abend möchte ich gern alles sehen können.« Er blinzelte, und seine Augen glitzerten von den Tropfen, die wie winzige Tränen an seinem unteren Wimpernkranz hängen blieben. Er wischte sich mit dem Arm übers Gesicht. Irgendetwas in seinen strahlenden Augen weckte in mir den Wunsch, dieses
alles
ebenfalls zu sehen.
»Deirdre? Ah, dachte ich doch, dass Sie das sind.« Mr. Hill,der Musiklehrer und Leiter des Schulorchesters, berührte mich am Ellbogen. Er hatte als mein musikalischer Mentor fungiert, seit ich auf die Highschool gekommen war, und ich wusste, dass er glaubte, ich sei zu Großem bestimmt. »Wie fühlen Sie
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