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Lamento

Titel: Lamento Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Stiefvater
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Und dann dieser Gestank. Dieser faulige Geruch, als wäre ich schon tot und verweste. Ein gewaltiger Katzenkopf, zu lang und schmal für eine normale Raubkatze, fuhr auf meinen Hals herab.
    Ich riss den Arm hoch – ich hätte alles getan, um diese Zähne von meinem Hals fernzuhalten. Stattdessen gruben sie sich in meinen Arm, als sei er aus Butter. Das Vieh schleuderte mich ein Stück hoch. Ich schnappte nach Luft, doch niemand hätte mich schreien gehört. Es war, als sei das Wäldchen tausend Meilen von der Kirche und den Hochzeitsgästen entfernt.
    Mein Arm brannte, die Raubkatze hielt ihn fest gepackt. Ich stieß ihr die Finger der anderen Hand in die Augen, worauf sie fauchend von mir abließ.
Zack
. Sie war hinter mir und schleuderte mich wieder mit Pranken und Klauen zu Boden.
Zack
. Sie hieb von der anderen Seite nach mir wie nach einer Maus.
Zack
. Wieder packte sie mich am Arm.
    Die riesigen Zähne brannten fürchterlich. Ich zerrte an ihr, schlug auf sie ein, aber die steinharten Muskeln unter ihrem Fell ließen sich davon nicht beeindrucken. Sie spielte mit mir,und gleich würde sie mich töten. Weil ich Grannas Ring im Waschbecken versenkt hatte. Ich würde sterben, weil ich eine
verdammte Idiotin
war.
    Mit einem Mal stieß die Katze ein Grollen aus, fuhr herum und schleifte mich am Arm mit sich. Ich erhaschte einen kurzen Blick auf jemanden, eine menschliche Gestalt. Dieser Jemand packte ebenfalls meinen Arm, während er mit der anderen Hand am Kopf der Katze zerrte.
    »Nicht«, japste ich. »Keine normale Raubkatze – passen Sie auf …«
    »Ich
passe
auf«, fuhr Luke mich an.
    O Gott. Was tat er denn hier?
    Die Katze zerrte meinen Arm in die eine Richtung, Luke in die andere. Ich sah Klauen und etwas Rotes. Mit einem heiseren Fauchen ließ die Katze von mir ab und sprang Luke an. Sie war bestimmt doppelt so schwer wie er und größer, wenn sie auf den Hinterbeinen stand. Das würde einen schrecklichen Kampf geben.
    Doch so schnell, wie ich mich aufrappeln konnte, hatte Luke die Raubkatze seitlich am Nackenfell gepackt. Als sie mit einer gewaltigen Pranke nach seinem Gesicht schlug, zog er scheinbar aus dem Nichts einen Dolch hervor und stieß die Klinge hinter den Unterkiefer der Bestie. Einfach so. Auf seinem Gesicht lag derselbe Ausdruck wie bei dem Wortwechsel mit Eleanor – genauso ruhig. Die tödliche Bewegung wirkte mühelos, routiniert, beinahe sparsam.
    Die Katze fiel zu seinen Füßen nieder und sah tot sogar noch gewaltiger aus. Ich starrte auf den schlaffen, verzerrten Hals und den Dolch hinunter, der aus ihrer Kehle ragte. Luke zog die Waffe heraus, wischte sie sorgfältig im Gras ab und steckte sie wieder in das Futteral unter seinem Hosenbein über dem Knöchel.
    Die Erinnerung an sein Gesicht, als er das Untier getötet hatte, ließ mich wie erstarrt innehalten.
    Luke sah mich fragend an – ein Blick, den man einem streunenden Hund zuwerfen würde, wenn man die Hand ausstreckte, um herauszufinden, ob er einen an sich heranlassen würde. Und plötzlich fiel mir die Frage ein, die er mir gestern gestellt hatte:
Mache ich dir Angst?
    Ich schluckte und stellte fest, dass ich doch noch eine Stimme besaß. »Ich habe Grannas Ring im Abfluss verloren.«
    Das genügte. Luke war sofort bei mir, umfing meinen zitternden Arm, wischte das Blut mit seinem T-Shirt ab und untersuchte die vier Bisswunden. Er strich über die Blutergüsse, die an meiner Schulter aufblühten, über die Kratzer an meinem Hals, und dann zog er mich in seine Arme. Er drückte mich so fest an sich, dass es schmerzte, und ich spürte seinen keuchenden Atem auf meiner Haut. Nach einer Weile löste er sich von mir. »Wo ist der Schlüssel? Und der Ring?«
    Ich war atemlos, wenn auch wahrscheinlich aus den falschen Gründen. »Ich habe dir doch gesagt, dass ich den Ring aus Versehen im Abfluss runtergespült habe.«
    »Und der Schlüssel?«
    Ich schlug die Augen nieder. »Mom hat mir gesagt, ich soll ihn abnehmen.«
    »Deine Mutter ist eine Idiotin!« Luke ging um mich herum und suchte mich nach weiteren Verletzungen ab. Ich bemerkte die Klauenspuren auf seiner Jeans und den roten Fleck an seiner Wade.
    »Du blutest.«
    Luke blieb vor mir stehen. »Du auch. Du hättest … es hätte viel schlimmer kommen können.«
    Plötzlich fiel mir etwas ein. »Granna kommt mich abholen. Was soll ich ihr nur sagen?«
    »Die Wahrheit.«
    Die Vorstellung ließ mich beinahe auflachen. »Sie würde mir nie glauben. Sie ist zwar ziemlich

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