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Lamento

Titel: Lamento Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Stiefvater
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ließ, sondern eine Kälte, die einem tief ins Mark drang.
    Dad hatte mir erzählt, dies sei früher Delias Kinderzimmer gewesen, in dem sie als Kind beinahe gestorben wäre. Abgesehen vom letzten Teil verabscheute ich dieses Zimmer allein deshalb, weil es dazu beigetragen hatte, Delias charmante Persönlichkeit zu formen.
    Ich holte meine Sachen aus dem Kleiderschrank – hierhin war also meine schlabberige Lieblingscordhose verschwunden – und zog mich im Badezimmer um. Als ich mir das getrocknete Blut abwusch, dachte ich daran zurück, wie Luke mich an sich gedrückt hatte, an seinen Geruch dicht unter meiner Nase. Eine Faust schloss sich bei dieser Erinnerung um meinen Magen … wie Nervosität, nur angenehmer.
    Wo mag er jetzt sein?
    Ich ging zu Granna in die Küche hinunter und blinzelte im hellen Sonnenschein, der durch die Fenster hereinfiel. Sie drückte mir ein Glas Eistee in die Hand und bedeutete mir, an dem runden Tisch Platz zu nehmen.
    Sie inspizierte meinen Arm, um sich zu vergewissern, dassich ihn anständig gesäubert hatte. »Du weißt, was hier vor sich geht, stimmt’s?«
    Ich kam mir ein bisschen dumm vor. »Feen?«
    Sie hob abrupt den Kopf. »Sprich es nicht aus. Wenn du dieses Wort sagst, können
sie
zuhören. Man nennt sie nicht ohne Grund ›Die guten Nachbarn‹ oder ›Das schöne Volk‹. Das andere Wort ist fast eine Beleidigung. Es ist vulgär.«
    Ich nippte an meinem Eistee. Granna machte ihn nie süß genug – weil raffinierter Zucker ungesund war … blablabla. »Aber wenn du die ganze Zeit über von
ihnen
wusstest, warum hast du dann nichts gesagt? Nur ›Oh, hier, trag diesen hässlichen Ring‹, ohne irgendeine Erklärung?«
    Granna schürzte die Lippen, doch ich sah ihr an, dass sie sich ein Lächeln verkneifen musste. »Deshalb hast du ihn also im Abfluss versenkt?«
    »Das war wirklich ein Versehen.«
    »Hm. Sie waren schon immer recht lästig für die weibliche Seite der Familie.«
    Recht lästig.
Ich war gerade von einer Raubkatze halb zerfleischt worden, neben der sich der Weiße Hai wie ein übellau-niger Goldfisch ausnahm. Wenn das »recht lästig« war, wollte ich das ganze Ausmaß des Problems lieber nicht kennenlernen.
    Granna trommelte mit den Fingern auf der Tischplatte. »Du bist etwa in dem Alter, in dem
sie
gern anfangen, Ärger zu machen. Oberflächlich wie
sie
sind, glaube ich, können
sie
mit Dingen, die alt oder nicht schön sind, nichts anfangen.
Sie
interessieren sich nur für nagelneue Spielsachen.« Sie zuckte mit den Schultern, als spreche sie von Ameisen in der Küche oder etwas ähnlich Banalem. »Deshalb habe ich dir den Ring geschenkt.«
    »Du tust ganz so, als bräuchte man sich vor
ihnen
nicht zu fürchten.«
    Wieder zuckte sie mit den Schultern. »Wenn du Eisen trägst, können sie dir nichts tun. Was glaubst du, warum in den Nachrichten nicht ständig von Wechselbälgern und geraubten Kindern die Rede ist? Heutzutage sind wir von Eisen umgeben, und das bekommt ihnen nicht.
Sie
haben auch Delia und deine Mutter belästigt, als sie noch klein waren, aber irgendwann haben
sie
aufgegeben.«
    Das war ein seltsamer Gedanke. Meine nüchterne, pragmatische Mutter war von Feen belästigt worden? Bei Delia fand ich die Vorstellung sogar noch merkwürdiger. Ich sah die Szene geradezu vor mir. Fee:
Komm fort mit uns, Menschenkind.
Delia:
Warum?
Fee:
Unvergleichliche Wonnen und ewige Jugend.
Delia:
Ach, ich warte auf ein besseres Angebot. Bis dann.
    »Warum hast du mir den Ring nicht schon früher geschenkt? Zu meiner Geburt oder so.«
    »Ich dachte,
sie
hätten uns aufgegeben. Aber dann habe ich ihn gesehen, und ich wusste,
sie
sind wieder da.«
    Ich brauchte gar nicht zu fragen, wen sie damit meinte. Mein Magen zog sich erneut zusammen, aber diesmal tatsächlich vor Anspannung der unangenehmen Sorte. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Denn was ich auch sagte, es würde meine wachsenden Gefühle für ihn verraten, und ich glaubte nicht, das Granna sich darüber freuen würde. Und selbst wenn ich die Frage in beiläufigem Tonfall hätte vorbringen können – in Wahrheit wollte ich die Antwort gar nicht hören.
    Stattdessen klammerte ich mich daran, wie er mich gerettet, mich nach dem Angriff der Raubkatze im Arm gehalten hatte. Ich fesselte mich an diese Bilder wie ein Seemann an den Mast, wenn ein Sturm aufzieht.
    Und schon brach der Sturm los. »Er ist einer von
ihnen
, Deirdre.«
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Ich bin ganz sicher. Ich habe ihn vor

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