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Lamento

Titel: Lamento Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Stiefvater
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zwanzig Jahren gesehen, und da sah er genauso aus wie neulich.«
    Sie hatte ihn mit jemandem verwechselt.
    »Er erscheint immer, kurz bevor der Rest von
ihnen
auftaucht. Bei Delia war es genauso.«
    Ich brachte doch ein paar Worte heraus. »Er hat mich gerettet, Granna. Hast du das vergessen?«
    Sie zuckte ungerührt mit den Schultern. Am liebsten hätte ich ihr eine runtergehauen, weil sie so achtlos auf meinem Herzen herumtrampelte. »Das sind nur Spielchen, Deirdre.
Sie
lieben Spiele. Grausame Späße. Erinnerst du dich nicht an die alten Märchen und Gutenachtgeschichten? Rätsel und Namen, List und Tücke. Und warum sollten
sie
dich tot sehen wollen? Schließlich wollen
sie
dich ja verschleppen.« Offenbar interpretierte sie meine Miene falsch, denn ihre Stimme klang ungewöhnlich mitfühlend, als sie fortfuhr. »Oh, keine Sorge! Ich finde ein anderes eisernes Schmuckstück für dich.«
    Ich griff nach dem Schlüssel an meinem Hals und hielt ihn ihr hin. »Er kann Eisen berühren, Granna. Du hast doch gesagt, das könnten
sie
nicht. Tja, er schon. Er konnte auch den Ring berühren, und er hat mir das hier geschenkt. Er hat mich vor
ihnen
gewarnt.« Zornig schob ich meinen Stuhl zurück. »Ich glaube nicht, dass er einer von
ihnen
ist.«
    Granna lüftete den Deckel ihrer Gefühlsschachtel gerade lange genug, um ein Stirnrunzeln entwischen zu lassen. »Bist du sicher, dass er Eisen berühren kann?«
    Vor meinem inneren Auge strichen seine Finger über die Haut neben dem Schlüssel, hielten meine Hand, streiften den Ring.
    »Ganz sicher.«
    Sie ließ tatsächlich ein weiteres Stirnrunzeln heraus, diesmal ein noch nachdenklicheres. »Dann muss er – er muss soeine Art Halbblut sein. Etwas wie … hatte er Augentropfen bei sich?«
    Mein Herz, das bei dem Wort »Halbblut« zu pochen begonnen hatte, blieb bei der Erwähnung der Augentropfen fast stehen. Ich brauchte nicht zu antworten. Mein Gesicht sprach offenbar Bände.
    »Er braucht die Tropfen, um
sie
zu sehen.« Sie stand abrupt auf und schob ihren Stuhl an den Tisch. »Mal schauen, ob ich etwas machen kann, das bei ihm wirkt«, sagte sie nachdenklich wie zu sich selbst.
    »Muss das sein?«, entschlüpfte es mir.
    Sie musterte mich streng. »Deirdre, alles, was er dir gesagt hat, war gelogen.
Sie
haben keine Seele.
Sie
haben keine Freunde.
Sie
lieben nicht.
Sie
spielen nur.
Sie
sind große, grausame Kinder, die funkelnde neue Spielzeuge haben wollen. Du bist neu und funkelnd. Er spielt mit dir.«
    Eigentlich sollte mir zum Weinen zumute sein, aber meine Augen waren staubtrocken. Vielleicht hätte ich auch wütend sein können oder so, aber ich war absolut nichts. Ich war so sehr
nichts
, dass es schon wieder
etwas
war.
    »Leg dich aufs Sofa und ruh dich aus. Ich bin in der Werkstatt, falls du mich brauchst. Wenn ich fertig bin, fahre ich dich nach Hause.«
    Ich antwortete nicht, weil das Nichts keine Stimme hatte. Stattdessen gehorchte ich und zog mich ins Wohnzimmer zurück. Ich suchte nach dem Bild von Luke, der mich in den Armen hielt, und fand – nichts.
     
    Ich sah mir alte
Cops
-Wiederholungen im Fernsehen an, bis die Schatten über den Rand der weißen Rattancouch reichten und immer länger wurden. Der achthundertste Polizist knallte gerade den achthundertsten Verbrecher auf die Motorhaube,
    als mein Handy klingelte. Ich warf einen Blick aufs Display und ging dran. »Hallo.«
    »Die große D!«, drang James’ entfernt klingende Stimme an mein Ohr.
    Ich konnte seinen Enthusiasmus nicht teilen. »Tut mir leid, dass ich mich nicht bei dir gemeldet habe. Ich bin bei …«
    »Granna. Deine Mutter hat es mir gesagt. Sie klingt so angepisst wie ein Wasserbüffel mit Blasenschwäche. Kann ich vorbeikommen?«
    Ich überlegte. Ich wusste nicht, was ich wollte, aber allein sein ganz bestimmt nicht. »Das wäre schön.«
    »Ich hatte gehofft, dass du das sagen würdest«, entgegnete James, als ich draußen vor dem Fenster eine Autotür zufallen hörte. »Ich bin nämlich schon da, und es wäre doch ziemlich blöd, wieder nach Hause fahren zu müssen.«
    Die Verbindung brach ab. Sekunden später klapperte die Fliegengittertür, und James betrat das Wohnzimmer. Ich stand auf und räumte einen Stapel Bücher über ganzheitliche Medizin vom anderen Ende des Sofas.
    Er stellte einen großen Pappbecher auf den Beistelltisch. »Ich weiß, dass deine Großmutter ihn nie süß genug macht, also habe ich dir bei Sticky Pig den guten Stoff besorgt.« Sein Blick fiel auf

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