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Lamento

Titel: Lamento Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Stiefvater
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seltsam war – wegen des Nebels vor den Fenstern und dem Mond, der bis in die Ecken schimmerte. Stöhnend reckte ich mich und versuchte, meinen verspannten Nacken zu lockern. Rye blickte von seinem Wachposten zu mir auf. Seine Miene drückte die Überzeugung aus, dass wir beide oben in meinem Bett besser schlafen würden.
    »Aber da oben sind Freaks«, flüsterte ich ihm zu. Ich setzte mich auf, rekelte mich und erhaschte einen Blick auf die Wanduhr: zwei Uhr früh. An Schlaf war anscheinend nicht zu denken.
    Ehe ich mich fragen konnte, was mich geweckt hatte, hörte ich ein leises, dumpfes Klopfen am Fenster. Rye sprang auf. Ich fuhr zusammen, eher von Ryes plötzlicher Bewegung erschreckt als von dem Geräusch. Am Fenster erschien ein Gesicht, und jemand drückte die Nase an die Scheibe, wo sie einen Fleck hinterließ.
    Obwohl Rye zu knurren begann, entspannte ich mich. Es war Luke. Wieder presste er die Nase an die Scheibe und schnitt mir eine alberne Grimasse. Ich bedeutete ihm zu warten und eilte in die Waschküche, um eine Jeans und das langärmelige T-Shirt von vorhin überzuziehen. Es war mir ein bisschen peinlich, dass Luke mich nur im enganliegenden Pyjama-Oberteil und mit zerzaustem Haar gesehen hatte. Rye folgte mir zur Hintertür, wobei er immer noch leise grummelte.
    Erst jetzt fiel mir ein, was Granna gesagt hatte. Die leise innere Stimme, die Mom, Granna und Delia immer recht gab,flüsterte:
Fee. Spielt mit deinen Gefühlen. Will dich entführen. Immun gegen Eisen. Halt dich fern.
    Keine Ahnung, warum sich diese gewissenhafte Stimme überhaupt die Mühe machte. Sobald ich Luke am Fenster gesehen hatte, war mir klar gewesen, dass mich nichts daran hindern würde, zu ihm hinauszugehen. Ich musste einfach. Mein Herz pochte allein beim Gedanken daran, dass er dort draußen stand, dabei hatte er noch kein einziges Wort gesagt. Ich fand mich selbst jämmerlich, doch auch das half nichts.
    Ich öffnete die Hintertür und stand vor einer fremdartigen silbrigen Welt. Der Nebel waberte, und das Mondlicht schimmerte hindurch und tauchte die Landschaft in kühles, leuchtendes Blau. Luke stand mit tief in den Taschen vergrabenen Händen neben der Hintertreppe. Ein langärmeliges schwarzes Hemd verbarg seinen Armreif. Alles an ihm war blau und hell. Ich fühlte mich mehr wie im Traum als gerade eben, als ich tatsächlich geträumt hatte.
    »Entschuldige, falls ich dich geweckt habe.« Er klang nicht so, als täte es ihm leid.
    Leise schloss ich die Tür hinter mir und blieb auf der Treppe stehen, wohl wissend, dass Mom und Dad drinnen schliefen. »Ich habe sowieso nicht gut geschlafen«, erwiderte ich mit gedämpfter Stimme.
    »Ich überhaupt nicht.« Er schaute in den Nebel hinter sich, dann musterte er mich mit einem vagen Lächeln. »Wenn ich es recht bedenke, war es schrecklich egoistisch von mir, dich aufzuwecken, damit du mir in meiner Schlaflosigkeit Gesellschaft leistest.«
    Ich verschränkte die Arme und wandte mich der leichten Brise zu. Die Nacht roch wunderbar nach gemähtem Gras und fernen Blumen. In einer Nacht wie dieser kam man leicht zu der Ansicht, dass die Sonne allgemein überschätzt wurde. »Womitkann ich dich unterhalten? Ich könnte ein bisschen für dich tanzen, aber Stepptanz sieht barfuß ziemlich albern aus.«
    Luke kniff die Augen zusammen, als versuchte er, sich mich beim Stepptanzen vorzustellen. »Ich glaube, das möchte ich nicht unbedingt sehen. Ich würde lieber …« Zum ersten Mal wirkte er unsicher. »Du hast gesagt, du willst keine ›Übung‹ sein. Aber du könntest mit mir spazieren gehen, und ich könnte so tun, als wäre ich nach wie vor nur fasziniert von dir, nicht mehr.«
    Mein Herz machte einen Satz. Es kostete mich mehr Anstrengung, als ich geahnt hatte, auf der Treppe stehen zu bleiben. »Wäre es gefährlich für mich, mit dir zu gehen?«
    Seine Miene war so undurchdringlich wie eine Maske, und er seufzte. »Vermutlich, ja.«
    Ich seufzte ebenfalls, doch dann ging ich die Stufen zu ihm hinunter und streckte die Hand aus. Luke blickte einen Moment lang auf meine ausgestreckten Finger hinab, ehe er mir ins Gesicht sah.
    »Du hast schon gehört, dass ich ›vermutlich, ja‹ gesagt habe?«
    Ich nickte. »Das ist mir egal. Ich gehe mit dir.« Ich wollte es dabei belassen, aber die Worte sprudelten mir über die Lippen. »Ist das nicht deine Masche? Mich so zu verwirren, dass ich nicht mehr weiß, wohin ich gehe, und mich dann zu entführen?«
    Er starrte mich nur

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