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Lamento

Titel: Lamento Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Stiefvater
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wird viel besser wirken als Eisen, wenn es erst fertig ist. Wenn du mit ihr da draußen herumläufst, wirst du das Eisen brauchen.«
    Widerstrebend nahm James den Reif entgegen und bog die Enden ein Stück auseinander, um ihn sich übers Handgelenk zu streifen. »Danke.«
    Granna ermahnte mich mit erhobenem Stößel, an dem grüne Pampe klebte. »Gebrauche deinen Kopf, und denk daran, was ich dir gesagt habe. Wir sehen uns später. Ich bringe das zu dir nach Hause. Sag deiner Mutter nicht, dass ich komme, sonst fühlt sie sich verpflichtet, eine Trüffeltorte zu backen oder ein Schwein zu schlachten.«
    Ich lachte. Das kam der Wahrheit einfach zu nahe.
    James zog mich am Ellbogen zur Tür.
    »Oh.« Granna sah mich stirnrunzelnd an. »Und pass auf, was du sagst, wenn Delia dabei ist.«
    Wie interessant.

Zehn
     
     
     
     
     
    Im Sticky Pig, dem einzigen anständigen Restaurant in der Stadt, ging es immer laut zu. Es war noch zu heiß, um draußen zu essen, also stellten wir uns in die Schlange lärmender, hungriger Menschen, die auf einen Tisch warteten. Als ich vor dem »Bitte warten Sie hier«-Schild mit dem lächelnden Schwein darauf stand und den rauchigen Duft von Grillfleisch roch, überkam mich einen flüchtigen Moment lang ein Gefühl, als hätte ich einen Filmriss gehabt. Ich war in all den Jahren so oft hier gewesen, dass ich vergaß, wie alt ich jetzt war und was ich getan hatte, bevor ich hereingekommen war. James holte mich in die Gegenwart zurück, indem er mich mit dem Ellbogen anstieß.
    »Folge nicht dem Licht«, sagte er mit leiser Stimme. »Deirdre, komm zurück ins Reich der Lebenden, komm zurück zu uns – ah! Da ist sie, Leute!«
    Ich warf ihm einen vernichtenden Blick zu. »Ich habe nachgedacht.«
    »Über die unendlichen Weiten des Alls, deinem entrückten Gesichtsausdruck nach zu schließen.« Er lächelte die Oberkellnerin an, die von seinem Charme unübersehbar geblendet war. »Ein Doppel bitte, ohne Luftverschmutzung.«
    Sie war zu hingerissen, um darauf zu reagieren, also übersetzte ich: »Einen Tisch für zwei im Nichtraucherbereich, bitte.«
    Die Kellnerin nickte stumm und führte uns zu einem Tisch in einer Nische. Wir glitten einander gegenüber auf die Bänke. Als sie weg war, beugte ich mich vor. »Die war süß.«
    James griff nach der Speisekarte (als ob er sie nicht längst auswendig kannte) und brummte: »Kein Interesse.« Er betrachtete die Rückseite der Karte, so dass mich das Schwein mit der karierten Schürze auf der Vorderseite anlächelte. »Muss dein Glückstag sein. Übernatürliche Elektroschocker stehen tatsächlich auf der Tageskarte.«
    Ich zog die Speisekarte ein Stück nach unten, um ihm ins Gesicht sehen zu können. »
Und
sie war hin und weg von dir.«
    Er richtete die Karte wieder auf und vertiefte sich in die Beilagenliste. »Kein Interesse.«
    »Warum
nicht
?« Mir war klar, dass ich ihn zu sehr bedrängte, aber ich hatte ein schlechtes Gewissen. Ich verfiel Luke immer mehr, und wenn ich James zumindest dazu bringen könnte, mit jemandem zu flirten, hätte ich nicht ganz so sehr das Gefühl, unsere alte Freundschaft zu verraten.
    Er ließ die Karte sinken und sah mich mit schmalen Augen an. »Ich interessiere mich für jemand anderen, nur zu deiner Information.« Er wandte den Blick ab. »Ich wollte dir nur noch nichts davon erzählen.«
    Erleichterung durchströmte mich.
Danke, Gott; möge sie sehr hübsch, extrem vereinnahmend und vor allem menschlich sein.
    »Du weißt doch, dass du mir solche Sachen erzählen kannst.« Na gut, meine Gewissensbisse meldeten sich dochzurück, weil ich
ihm
nichts von besagten Sachen erzählt hatte. »Kenne ich sie?«
    James zuckte mit den Schultern. »Kann sein.« Seine Miene hellte sich ein wenig auf. »Sie war dieses Jahr in meiner Fachgruppe in Naturwissenschaften.« Ein Lächeln erschien auf seinem Gesicht, das jedoch nicht bis zu den Augen reichte. Ich musterte ihn eindringlich, und offenbar verspürte er das Bedürfnis, ausführlicher zu werden. »Sie heißt Tara.«
    Seltsam, aber während er sprach und ich ihm in die Augen sah, hatte ich den Eindruck, etwas um seinen Kopf herum schimmern zu sehen – wie Öl, das auf Wasser treibt. Ich blinzelte.
    »Sie hat rotes Haar«, fuhr James fort. Das ölige Schimmern nahm festere Form an. Ich sah ein weibliches Gesicht, als sei es über James’ Gesicht gelegt. Ein Gesicht mit stufig geschnittenem Haar. »Lockig. Und grüne Augen.« Ein graues Augenpaar blickte mich an,

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