LaNague 05 - Der Tery
lachen.
»Einfach so? Mit einem anderen Mythos? Ach, wenn ich nur die Macht hätte, dann würde ich eine Religion erschaffen, die uns alle vereinte, statt uns zu Gegnern zu machen. Oder, besser noch, ich würde jegliche Religion abschaffen und uns nur für uns selbst und nicht für irgendeine erfundene Gestalt leben lassen.«
»Das wäre unrealistisch. Es gibt die Mythen, weil die Menschen sie wünschen, sie brauchen und an ihnen festhalten. Wenn du eine bestehende Religion verdrängen willst, mußt du mit einem besseren und größeren Gott ankommen, einem, der die alten Götter zur Seite schiebt und sagt, daß die Terys und die Talente mindestens soviel wert sind wie die Menschen.«
»Wenn es uns gelingt, die Waffen in unsere Hände zu bekommen«, sagte Rab auf einmal heftig, »dann werde ich Mekk und seinen Priestern einmal zeigen, wieviel die Terys und die Talente wirklich wert sein können!«
»Dafür willst du also die Waffen? Du willst dich selbst zum Oberlord aufschwingen?«
»Nein, natürlich nicht. Aber wir können sie dazu verwenden, die Lage zu unseren Gunsten zu verändern. Wir werden nicht mehr davonlaufen müssen – vor niemandem!«
Tlad gab keine Antwort; mit besorgtem Stirnrunzeln starrte er ins Feuer.
Am nächsten Morgen suchte Jon nach Tlad und erfuhr, daß er beim ersten Licht mit unbekanntem Ziel aufgebrochen war. Er machte sich daraufhin auf den Weg zu Tlads Hütte. Der Vormittag war zwar schon halb vorbei, aber er wußte, daß er Tlad leicht einholen konnte. Kein Mensch konnte sich so schnell durch den Wald bewegen wie ein … er würde sich daran gewöhnen müssen, sich selbst als Menschen zu bezeichnen. Er hatte das nun als eine Tatsache akzeptiert und wünschte, daß die Menschen um ihn herum es ebenfalls täten. Aber Rab sagte: immer langsam, Schritt für Schritt. Und er hielt sich daran. Aber es erboste ihn von Tag zu Tag mehr, daß er seine Intelligenz verbergen mußte. Während er früher von Natur aus schweigsam gewesen war, hatte er jetzt einen unersättlichen Drang entwickelt, mit anderen Menschen zu reden. Doch er hatte keinen Gesprächspartner. Rab war ständig beschäftigt oder von anderen Talenten umgeben, und wenn Tlad kam, dann sprachen Rab und er von Dingen, die Jon nicht verstand, so daß er gezwungen war, aus Unwissenheit zu schweigen.
Darum hatte er sich Tlad ausgesucht, der zwar ein Mensch war, die Nähe anderer Menschen jedoch nicht zu suchen schien. Vielleicht würde er die Gesellschaft eines Terys akzeptieren, der sich verzweifelt danach sehnte, mit anderen menschlichen Lebewesen von gleich zu gleich zu verkehren. Sie waren beide Fremde, Außenseiter, standen beide außerhalb der Kultur der anderen – Tlad auf Grund eigener Wahl, der Tery durch sein Erbgut und eine gesetzliche Verfügung.
Tlad war nicht bei seiner Hütte, war den Anzeichen nach zu urteilen in letzter Zeit gar nicht dagewesen. Vielleicht hatten sie verschiedene Wege eingeschlagen, und der Tery hatte ihn auf einem parallel verlaufenden Pfad überholt. Jon wartete ein Weilchen, dann beschloß er, das Gebiet zwischen der Hütte und dem neuen Lager der Psi-Leute zu durchforschen.
Schließlich gelangte er auf eine vertraute Lichtung. Zu seiner Linken erblickte er, was er sich angewöhnt hatte, die Schimmernde Furcht zu nennen. Und da war Tlad, der geradewegs auf sie zuging – in sie hineinging. Der Schimmer umhüllte ihn, und er verschwand.
Jon rannte los. Wenn Tlad in Gefahr war, mußte er ihm helfen. Hatte ihn das, was in der Schimmernden Furcht saß, angelockt? Oder hatte Tlad gar keine Furcht verspürt? Diese Fragen blieben unbeantwortet, als er fühlte, wie die ersten Anzeichen des Entsetzens Fangarmen gleich seine Brust und Kehle umschlangen und zuzudrücken begannen. Aber er rannte immer noch. Er lief, bis ihm der Atem ausging und seine Beine steif und ungelenk wurden. Und als er nicht mehr laufen konnte, da schleppte er sich weiter, zwang jedes Glied langsam und unter Schmerzen voran, bis er sich mitten im Schimmer befand und der Wald verschwunden war, bis nichts mehr existierte außer der Furcht, die in ihm dröhnte und um ihn herum summte. Aber immer noch zwang er sich vorwärts, noch einen Schritt … noch einen Schritt …
… und plötzlich war der Schimmer verschwunden, und mit ihm die Furcht. Keuchend und schwitzend stand er in einem kühlen, geruchlosen Raum, der aus glänzendem Stahl gemacht zu sein schien.
Nicht einmal drei Schritte von ihm entfernt saß Tlad mit dem Rücken zu
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