Land aus Glas
gestattet ist, prophetisch. Lassen Sie sich von dem dummen Geschwätz der Leute nicht aufhalten, und, mit Verlaub, schon gar nicht von den gelehrten Betrachtungen der Akademiker. Wenn ich mich mit der Gewißheit Ihrer Diskretion an Sie wenden kann, sollen Sie wissen, daß gerade Professor Dallet nicht immer von der reinsten und selbstlosesten Liebe zur Wahrheit erleuchtet wird. Er hat sechsundzwanzig Jahre hinter verschlossenen Türen an der Konstruktion eines Perpetuum mobile gearbeitet. Das fast vollständige Ausbleiben nennenswerter Resultate hat die Moral des Professors begreiflicherweise zermürbt und seinen Ruf angekratzt. Sie werden natürlich verstehen, wie gelegen in diesem Zusammenhang der Glücksfall erscheinen mußte, durch den das einfallsreiche System der Kommunikation vermittels Zinkrohren, das der Professor für das Hotel seines Cousins Alfred Dallet in Bretonne entwickelt hatte, mit außergewöhnlich großem Aufsehen in die Zeitungen kam. Sie wissen ja, wie Journalisten sind. Binnen kurzem und mit Hilfe einiger gezielter Erklärungen bestimmten Blättern der Hauptstadt gegenüber wurde Dallet für alle zum Propheten des »Logophors«, der Wissenschaftler, der »jede beliebige Stimme ans andere Ende der Welt bringen« konnte. In Wirklichkeit, glauben Sie mir, verspricht sich Professor Dallet nicht viel von der Erfindung des Logophors, außer natürlich dieser Berühmtheit, die er, nachdem er lange Zeit auf sie hingearbeitet hatte, ohne sie zu erlangen, nun erlangte, ohne auf sie hinzuarbeiten. Obgleich einige Experimente, die er tatsächlich durchführte, ermutigende Ergebnisse brachten, hegt er in bezug auf den Logophor eine verhohlene, doch entschiedene Skepsis. Wenn ich erneut an Ihre Diskretion appellieren darf, möchte ich Ihnen mitteilen, daß ich mit eigenen Ohren gehört habe, wie Professor Dallet einem Kollegen gegenüber und nicht ohne die Mitwirkung einiger Gläser Beaujolais bekannte, das höchste, was mit dem Logophor zu erreichen sei, wäre, am Eingang eines Bordells die Geräusche aus den Alkoven im zweiten Stock zu hören. Der Kollege des Professors fand das alles sehr witzig.
Ich könnte Ihnen noch andere und aufschlußreichere Anekdoten erzählen, doch wie Sie selbst feststellen werden, wird meine Hand von Minute zu Minute unsicherer. Und mein Kopf ebenso. Lassen Sie mich daher unverzüglich hinzufügen, daß ich Ihren Enthusiasmus und Ihr Vertrauen in die Zukunft des Logophors vorbehaltlos teile. Die letzten ermutigenden Experimente der Herren Biot und Hassenfarz haben zweifelsfrei bewiesen, daß eine sehr leise Stimme mit Zinkrohren bis zu einer Entfernung von 951 Metern übertragen werden kann. Daraus läßt sich logischerweise schlußfolgern, daß eine kräftigere Stimme hundertmal weiter kommen und somit eine Entfernung von fast hundert Kilometern zurücklegen könnte. Professor Arnott, den kennenzulernen ich vergangenen Sommer das Glück hatte, hat mir eine seiner außergewöhnlichen Berechnungen über das Verklingen der Stimme in der Luft erläutert. Daraus geht mit absoluter Gewißheit hervor, daß eine Stimme, die in ein Rohr gepreßt wird, anstandslos von London nach Liverpool gelangen kann.
In Anbetracht all dieser Fakten offenbart das, was Sie schreiben, nur, wie zutreffend Ihre Prophezeiungen sind. Wir stehen wirklich an der Schwelle zu einer Welt, die lückenlos durch Rohrnetze verbunden ist, mit denen jede Entfernung überwunden werden kann. Da nach den jüngsten Berechnungen die Schallgeschwindigkeit 340 Meter pro Sekunde beträgt, wird es möglich sein, einen geschäftlichen Auftrag innerhalb von zehn Minuten von Brüssel nach Antwerpen zu schicken; oder einen militärischen Befehl in einer Viertelstunde von Paris nach Brüssel zu senden; oder, wenn Sie gestatten, in Marseille einen Liebesbrief zu erhalten, der keine zweieinhalb Stunden zuvor in Sankt Petersburg aufgegeben wurde. Glauben Sie mir, es ist wirklich an der Zeit, nicht länger zu zögern und die magische Beweglichkeit des Schalls zu nutzen, um Städte und Nationen so miteinander zu verbinden, daß die Völker lernen, daß die Welt das einzig wahre Vaterland ist und die Gegner der Wissenschaft die einzig wahren Feinde sind. Deshalb, hochverehrter Mr. Pekisch, erlaube ich mir, Ihnen in aller Bescheidenheit zu raten: Geben Sie Ihre Experimente nicht auf, und setzen Sie vielmehr alles daran, Ihre Methoden zu verfeinern und Ihre Resultate an die Öffentlichkeit zu bringen. Wenn auch fernab von den großen
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