Land aus Glas
sich das Maul darüber zu zerreißen … Pekisch und Pehnt, Pehnt und Pekisch … alles Gangster, wirklich wahr, sie grinsten höhnisch darüber, diese Scheißkerle … dabei waren sie doch bloß Freunde … es war nichts Schlimmes dabei … er hatte nicht mal einen Vater, Pehnt … und Pekisch … der hatte niemanden, man wußte nicht mal, wo er herkam, einige sagten, er sei mal im Zuchthaus gewesen, du liebe Güte! … Pekisch im Zuchthaus … dazu brauchte man wirklich Phantasie … er hätte keiner Fliege was zuleide tun können … er lebte für die Musik, nichts weiter … das war seine ganze Leidenschaft, dafür war er geboren … ja … denk nur, als Pehnt beschloß wegzugehen … also … Pehnt beschloß wegzugehen, und da sagte Pekisch zu ihm ›Geh am Tag des heiligen Laurentius‹ – an dem Tag gibt’s nämlich ein Fest, das Fest des heiligen Laurentius – ›Geh am Tag des heiligen Laurentius, nach dem Fest, bleib stehen und hör dem Orchester zu, und dann geh fort‹, das sagte er zu ihm … er wollte nämlich, daß er noch einmal das Orchester höre, verstehst du?, er wollte, daß er mit diesem Lebewohl fortging … und so dachte er sich was Wunderschönes aus … ich weiß das, weil ich an dem Tag auch mitspielte … also, er hatte noch nie was komponiert, ich meine, Musik, die richtig von ihm war … Pekisch kannte sämtliche Musikstücke der ganzen Welt und bearbeitete sie für uns, er schrieb sie um und so weiter, aber … es war immer die Musik von jemand anderem, verstehst du? … doch diesmal sagte er uns, diese Musik ist von mir … schlicht und einfach, bevor er mit der Probe begann, sagte er leise ›Diese Musik ist von mir‹/Pekisch am Klavier, er hat die Tür verriegelt, seine Hände ruhen übereinandergelegt auf seinen Beinen, er schaut auf die Tastatur. Seine Augen wandern von einer Taste zur nächsten, als verfolgten sie eine Grille, die darauf tanzt. Stundenlang. Er schlägt nicht eine Taste an, es reicht ihm, sie anzuschauen. Nicht ein Ton kommt heraus, er hat sie alle im Kopf. Stundenlang. Dann macht er das Klavier zu, steht auf und geht hinaus. Er merkt, daß es Nacht ist. Er kehrt in sein Zimmer zurück. Er legt sich schlafen./… und eigentlich war es nicht nur ein Musikstück, denn genaugenommen hatte er zwei komponiert, und das war das Wunderbare an dieser ganzen Geschichte … manche Sachen konnten einfach nur ihm einfallen … er teilte das Orchester in zwei Hälften und bereitete alles sorgfältig vor … das eine Orchester kam vom äußersten linken Ende des Städtchens und spielte eine Melodie, und das andere kam vom entgegengesetzten Ende und spielte eine ganz andere Melodie … verstehst du? … so mußten sie sich genau auf halber Strecke treffen und sollten dann beide weiterziehen, immer geradeaus, bis ans Ende des Städtchens … das eine kam da an, wo das andere losgegangen war und umgekehrt … eine komplizierte Geschichte … ein packendes Schauspiel … so daß ein Haufen Leute kam, um sich das anzusehen … so was hört man ja auch nicht alle Tage … das Fest des heiligen Laurentius … das vergesse ich nicht so schnell … niemand vergißt das so schnell … das hat auch die Madam gesagt, ›Es war bezaubernd‹, hat sie gesagt … und zu mir hat sie gesagt: ›Du hast wunderbar gespielt, Kuppert‹, genau so … sie war allein zum Fest gekommen, allein mit Mormy, meine ich, denn Mr. Rail blieb zuletzt doch zu Hause … er hatte mit seiner Eisenbahn zu tun … mit diesen ganzen Arbeiten … und dann war irgendwas passiert, was weiß ich, ich glaube, man hatte ihm was telegraphiert, und er hatte Jun gesagt, daß er nicht mitkommen könne, daß er auf jemanden warten müsse … es war wohl jemand von der Eisenbahn, was weiß ich … niemand wußte, wo er das ganze Geld her hatte, mit dem er Elisabeth fahren lassen wollte … aber er sagte ›Mit Glas kann man Wunder vollbringen, und ich vollbringe gerade eins‹ … das habe ich nie richtig verstanden …/Mr. Rail hatte eine Nachricht erhalten, nur eine Zeile, Es ist alles entschieden, komme morgen. H. H. Morgen ist ein großer Tag, sagt Mr. Rail. Jun weiß nicht, ob sie das rote oder das gelbe Kleid anziehen soll. Der heilige Laurentius. Jedes Jahr findet das Fest des heiligen Laurentius statt. Monsieur Horeau kommt, denkt Mr. Rail, als er auf die große Wiese hinunterschaut, auf der die Schienenstücke verlegt werden, eines nach dem anderen, eines hinter dem anderen. Die sonderbare Intimität dieser beiden
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