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Land aus Glas

Land aus Glas

Titel: Land aus Glas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alessandro Baricco
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tragen merkwürdige Instrumente. Ein paar kleine, ein paar große. Sie bewegen sich nicht. Die Männer natürlich, nicht die Instrumente. Und schauen vor sich hin. Und damit vielleicht auch in sich hinein.
    Auf den tausend Schritt Straße, die die Männer links von den Männern rechts trennen, sind nichts und niemand zu sehen. Denn die Leute – und damit sind hier nicht nur ein paar Passanten gemeint, sondern Dutzende von Menschen, die zusammen mehrere hundert Personen ergeben, vierhundert Personen etwa, vielleicht auch noch mehr, also das ganze Städtchen und dazu die, die extra von weither gekommen sind, um jetzt dabeizusein …
    Auf den tausend Schritt Straße, die die Männer links von den Männern rechts trennen, sind absolut nichts und niemand zu sehen. Denn die Leute stehen dichtgedrängt zwischen Straßenrand und Häuserfront, jeder trotz der Enge und der Aufregung darauf bedacht, mit dem Fuß nicht auf dem zu landen, was man nach soviel akribischer Arbeit nun mit Fug und Recht als einen exzellenten Billardtisch aus brauner Erde bezeichnen kann. Und je näher man an den imaginären und letztlich doch realen Punkt kommt, der exakt die Mitte der Straße markiert, dorthin, wo sich die zwölf Männer links zu gegebener Zeit – im entscheidenden Moment – mit den zwölf Männern rechts verflechten werden wie die Finger zweier Hände, die sich suchen und schließlich finden, wie die Räder eines klangvollen Getriebes, wie die Fäden eines orientalischen Teppichs, wie die Böen eines Unwetters, wie die beiden Geschosse eines einzigen Duells …
    Und je näher man genau zum Mittelpunkt der Straße kommt, desto dichter wird das Gewühl der um diesen neuralgischen Punkt gedrängten Menschen, so nahe wie möglich an dieser unsichtbaren Grenze, an der sich die beiden Klangwolken vermischen werden (wie das sein wird, ist unvorstellbar), ein großes Gewirr von Augen, Hütchen, Sonntagskleidern, Kindern, Altersschwerhörigkeiten, Dekolletés, Füßen, Bedauern, glänzenden Stiefeln, Gerüchen, Düften, Seufzern, Spitzenhandschuhen, Geheimnissen, Krankheiten, nie gesagten Worten, Lorgnons, unermeßlichen Schmerzen, Haarknoten, Huren, Schnurrbärten, keuschen Ehefrauen, erloschenen Köpfen, Taschen, dreckigen Gedanken, goldenen Uhren, seligem Lächeln, Orden, Hosen, Unterröcken, Illusionen – eine große Ansammlung von Menschlichkeit, ein Konzentrat von Geschichten, eine Anstauung vieler Leben, die an diesen Straßenrand geschüttet wurde (und besonders nachdrücklich genau an den Mittelpunkt dieser Straße), damit sie der Wegstrecke eines einzigartigen Klangabenteuers – einer Verrücktheit – eines Phantasiestreichs – eines Rituals – eines Lebewohls – als Bande dient.
    Und das alles – alles – in Stille getaucht.
    Wenn man sich das vorstellen kann, dann muß man es sich so vorstellen.
    Grenzenlose Stille.
    Weiter nichts. Doch immer ist es irgendeine wunderbare Stille, die dem Leben das winzige und unermeßliche Getöse dessen verleiht, was später unverrückbare Erinnerung wird. Einfach so.
    Und genau deshalb stehen auch sie und gerade sie wie versteinert da, die zwölf Männer am Anfang der Straße und die zwölf Männer am Ende der Straße, jeder mit seinem Instrument in der Hand. Nur noch einen Augenblick, bis alles beginnt, und sie stehen in sich selbst ruhend da, ohne – noch für einen kurzen Augenblick – irgend etwas anderes tun zu müssen, als sie selbst zu sein – ein gewaltiges Diktat – eine schreckliche, wunderbare Pflicht. Sollte es Gott irgendwo geben, müßte er jeden einzelnen von ihnen erkennen, müßte er alles über sie wissen, und sie müßten ihn anrühren. Zwölf auf der einen Seite. Zwölf auf der anderen. Alles seine Kinder. Jeder einzelne. Sowohl Tegon, der eine Art Geige spielt und in den eisigen Fluten des Flusses sterben wird, als auch Ophuls, der eine Art Trommel spielt und in einer mondlosen Nacht sterben wird, ohne es zu merken, und Rjnh, der eine Art kleine Flöte spielt und in einem Bordell zwischen den Schenkeln einer stockhäßlichen Frau sterben wird, und Haddon, der eine Art Saxophon spielt und mit neunundneunzig Jahren sterben wird, erzähl mir noch einer was von Pech!, und Kuppert, der eine Art Harmonika spielt und am Galgen sterben wird, er und sein kaputtes Bein, und Fitt, der eine Art Tuba spielt und um Gnade flehend sterben wird, als eine Pistole zwischen seine Augen zielt, und Pixel, der eine Art große Trommel spielt und sterben wird, ohne bis zum Schluß

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