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Land aus Glas

Land aus Glas

Titel: Land aus Glas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alessandro Baricco
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fragen?«
    »Natürlich.«
    »Wie groß sind unsere Chancen zu gewinnen … also, ich meine … Denken Sie, daß Sie gewinnen?«
    Horeau lächelte.
    »Ich denke, daß ich nicht verlieren kann.«
    Er verstaute die Tasche in der Kutsche, setzte sich neben Arold, zögerte einen Moment und drehte sich zu Mr. Rail um.
    »Darf ich Sie auch was fragen?«
    »Natürlich dürfen Sie«, antwortete Mr. Rail und fuhr sich mit der Hand unwillkürlich über die lange Narbe in seinem Gesicht.
    »Wer ist denn auf die Idee gekommen, hier ein Eisenbahndenkmal hinzustellen?«
    »Das ist kein Denkmal.«
    »Nicht?«
    »Das ist eine echte Lokomotive.«
    »Eine echte Lokomotive? Und was macht sie hier?« Mr. Rail hatte die Nacht mit Berechnungen zugebracht und Unmengen von Zahlen mit dem Gedanken an zwanzigtausend Glasscheiben gekreuzt.
    »Was denn, sieht man das nicht? Sie steht kurz vor der Abfahrt.« 

 
Vier

1
     
    »…was heißt hier ›zufällig‹? … Glaubst du wirklich, daß irgendwas ›zufällig‹ passiert? Soll ich glauben, daß mein kaputtes Bein ein Zufall ist? Oder mein Gutshof, und der Ausblick, den man dort hatte, und dieser Weg … oder das, was ich nachts fühle, anstatt zu schlafen, die ganze Nacht lang … auf diesem Weg ist Mary weggegangen … sie hat es nicht mehr ausgehalten, und irgendwann ist sie weggegangen … sie hat diesen Weg genommen und ist auf und davon … sie hat mich nicht mehr ausgehalten, natürlich nicht … ein unerträgliches Leben und … ich soll mich trösten und glauben, daß ich ›zufällig‹ unerträglich geworden bin und daß Mary schön war … nicht wunderschön, aber doch schön … wenn sie auf einem Fest tanzte und lächelte, fanden die Männer, daß sie schön ist … das fanden sie … aber ich bin unerträglich geworden, das ist wahr … ich habe es gemerkt, Tag für Tag, aber da war nichts zu machen … es ist vom Bein aus in mir hochgekrochen und hat mich langsam von innen zerfressen … ich bin sicher, daß alles mit dem Bein angefangen hat … früher, aber dann … ich habe es nicht mehr ausgehalten … soll ich mich dafür hassen? So mußte es kommen, und so ist es gekommen … Schluß, aus … ein bißchen wie diese Geschichte hier … hier könnte man auch sagen ›Das ist Zufall‹, aber was soll das heißen? heißt das denn was? … die Witwe Abegg wußte es ganz genau, sie glaubte daran, es hatte mit Zufall nichts zu tun, es ist Schicksal, das ist etwas anderes … und auch Pehnt hatte es verstanden … du kannst vielleicht sagen, eine Jacke sei nicht der Rede wert, und es sei was für Verrückte, sein Leben danach einzurichten, daß man wartet, bis einem eine Jacke richtig paßt … aber es ist alles gehupft wie gesprungen, eine Jacke oder ein kaputtes fördert … das Schicksal macht Feuer mit dem Holz, das gerade da ist … es macht auch mit einem Strohhalm Feuer, wenn nichts weiter da ist … und Pehnt hatte diese Jacke und weiter nichts … ich sage dir, sie hat es richtig gemacht, die Witwe Abegg … Und glaub ja nicht, daß sie nicht darunter gelitten hat … aber als die Jacke dann richtig paßte, war klar, daß Pehnt fortgehen mußte …/Die Witwe Abegg schaut vom Waschtrog auf, sie schaut nur kurz auf, um ihn anzuschreien, wo zum Teufel er die ganze Nacht gesteckt habe, aber sie bringt kein Wort heraus, denn ihr sticht das Bild dieses Jungen ins Auge, der mit einer schwarzen Jacke am Leib auf sie zukommt. Tadellos. Wer weiß, ab wann eine Jacke tadellos paßt, wer weiß, was ausschlaggebend dafür ist, wann ein Bild nicht mehr kann und herunterfällt oder wann ein seit Jahren regloser Stein sich eine Spur dreht. Jedenfalls saß sie tadellos. Und die Witwe Abegg brachte kein Wort heraus und spürte in ihrem Innern nur das Beben einer Aufregung, die mit Angst zu tun hatte, mit Freude, mit Überraschung und mit tausend anderen Dingen. Sie beugt sich wieder über den Waschtrog und weiß, daß dies die erste Geste eines neuen Lebens ist. Ihres letzten./… er sollte in die Hauptstadt, das war sein Schicksal … weg aus Quinnipak … ein für allemal … nicht, weil es hier so scheußlich war, nein … sondern weil es sein Schicksal war … wo auch immer es scheußlich war, er sollte in die Hauptstadt gehen, und er ging hin … ich denke, es war richtig so … und auch Pekisch sagte mir mal, ›es war richtig so‹ … und er hatte diesen Jungen wirklich gern! … sie zogen immer zusammen durch die Gegend, und stell dir vor, es gab sogar welche, die anfingen,

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