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Land aus Glas

Land aus Glas

Titel: Land aus Glas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alessandro Baricco
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Radspuren. Die Gewißheit, daß sie nie zusammentreffen. Die Hartnäckigkeit, mit der sie immer weiter nebeneinander herlaufen. Das alles erinnert ihn an etwas. Er weiß nicht, woran./… Mr. Rail vollbrachte mit Glas Wunder und Pekisch mit Musik, so war das … nur ich vollbrachte keine Wunder … nicht mal früher, als mit dem Bein noch alles in Ordnung war … und dann … habe ich es kommen lassen, wie es kommen mußte … der Zufall hat damit nichts zu tun … daran magst von mir aus du glauben, aber du bist jung, was weißt du schon … es steckt immer ein konkreter Plan hinter allem … damit hatte Mr. Rail recht … jeder hat seinen Weg, sein Gleis vor sich, ob er es nun sieht oder nicht … meins hat mich genau am richtigen Tag zum Markt von Trinniter gebracht … es gibt unzählige Tage, und Märkte … aber ich bin genau an dem Tag in Trinniter gelandet, als Markt war … um mir eine Sense zu kaufen, eine schöne Sense … ich wollte auch eine Truhe kaufen, weißt du, eine von diesen Truhen, wie man sie manchmal in den Häusern sieht, mit allem möglichen Plunder drin … aber ich fand keine – keine solche Truhe, und so hatte ich nur die Sense in der Hand, als ich Mary entdeckte, zwischen all den Leuten … allein … ich hatte sie seit Jahren nicht gesehen, ich hatte überhaupt nichts mehr von ihr gehört … und jetzt war sie da … gar nicht mal sehr verändert … es war wirklich Mary … jetzt sag mir doch, was daran Zufall sein soll … was so was je mit Zufall zu tun haben könnte … das war alles vorherbestimmt, am Schreibtisch … ich mit der Sense in der Hand und Mary, nach Jahren, die da vor mir auftaucht … ich war ihr nicht böse … ich wäre zu ihr gegangen und hätte ›Hallo, Mary‹ zu ihr gesagt, und wir hätten uns ein bißchen unterhalten … vielleicht hätten wir sogar irgendwo ein Glas zusammen getrunken … aber ich hatte eine Sense in der Hand … das will niemand verstehen, aber so war’s … was sollte ich denn machen … vielleicht, wenn ich Blumen in der Hand gehabt hätte, nur so zum Beispiel, vielleicht wären wir dann damals zusammen zurückgekehrt, ich und Mary … aber es war eine Sense … klipp und klar … so einen Weg würde sogar ein Blinder sehen … es war mein Weg … er führte mich bis auf einen Schritt an Mary heran, zwischen all die Leute, sie konnte mich gerade noch ansehen, dann schlitzte ihr die Sense den Bauch auf wie einem Tier … Blut in Strömen … dazu die Schreie, die klingen mir jetzt noch in den Ohren, solche Schreie hatte ich noch nie gehört … aber auch sie … auch sie hatten jahrelang nichts anderes gemacht als auf mich gewartet … ein Schrei kann Jahre auf dich warten, dann eines Tages kommst du, und er ist da, pünktlich und schrecklich … alles, alles ist so … alles, was dir begegnet, ist immer schon da und wartet auf dich … auch du, was glaubst du denn? und dieses widerliche Gefängnis … alle stehen am Wegesrand an den Gleisen und warten darauf, daß ich vorbeikomme …
    Ich werde kommen … ich werde kommen … Sagt dem Galgen, der auf mich wartet, Bescheid, daß ich auch bei ihm vorbeikommen werde. Eine Nacht noch, dann habe ich aufgehört zu warten.«

2
     
    Der Boden auf dem Boden ist trocken, braun und hart. Die Sonne hat ihn seit Stunden leergesogen und so eine Nacht voller Regen, Blitze und Donnerschläge ausgelöscht. Auch Ängste verschwinden auf diese Weise im Nichts. Auf dem Boden etwas fast regloser Staub. Es weht kein Wind, der ihn mit sich fortträgt. Mit merkwürdiger Akribie haben die Leute die Abdrücke der Pferdehufe und die Wagenspuren verwischt. Die ganze Straße wie ein Billardtisch aus brauner Erde.
    Die Straße ist dreißig Schritt breit. Sie teilt das Städtchen in zwei Hälften. Diesseits der Straße. Jenseits der Straße. Die Straße ist tausend Schritt lang, vom ersten Haus des Städtchens an gerechnet bis zur Ecke des letzten. Tausend normale Schritte. Eines normalen Menschen, falls es den gibt.
    Am Straßenende ganz links – auf einer Uhr betrachtet also links von Mitternacht – stehen zwölf Männer. Zwei Reihen zu je sechs Mann. Sie tragen merkwürdige Instrumente. Ein paar kleine, ein paar große. Sie bewegen sich nicht. Die Männer natürlich, nicht die Instrumente. Und schauen vor sich hin. Und damit vielleicht auch in sich hinein.
    Am Straßenende ganz rechts – auf einer Uhr betrachtet also rechts von Mitternacht – stehen weitere zwölf Männer. Zwei Reihen zu je sechs Mann. Sie

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