Land der Mythen 01 - Unter dem Erlmond
der sich entgegen dem Gesetz seines Volkes mit einer Sterblichen verband und mit ihr einen Sohn zeugte – nämlich dich. Als Dánaon davon erfahr, gebot er deinem Vater, Allagáin zu verlassen und zu den fernen Gipfeln zurückzukehren. Deine Mutter und du jedoch, ihr wurdet in die Obhut der Zwerge gegeben, denn es stand zu befürchten, dass euch dunkle Mächte früher oder später nach dem Leben trachten. Ich selbst übernahm es, euch hierher zu bringen in Alwys’ Reich, wo die Zeit langsamer vergeht als draußen in der Welt und wo der letzte Spross von Vanis’ Stamm ganz allmählich herangewachsen ist. Deine Mutter hat nie verwunden, dass dein Vater ihr genommen wurde – sie starb an gebrochenem Herzen. Du jedoch lebst nach all der langen Zeit und bist nun ein junger Mann.«
Verlegen blickte Erwyn an sich herab. »Lieber Meister Yvolar, was sagt Ihr da? Ich bin nur ein Menschenjunge, und dazu noch nicht einmal ein besonders kräftiger. Alle jungen Zwerge in der Gildenschule sind stärker als ich und ihre Ausdauer ist größer. Sie haben auch mehr Geschick als ich – und das in allen Dingen, die sie tun.«
»Du meinst Dinge wie Steinmetzarbeiten oder andere Tätigkeiten, die einem Zwerg nun mal im Blut liegen«, sagte Yvolar. »Du aber bist kein Zwerg, Dochandar, und es ist dir auch nicht bestimmt, ein Leben als Zwerg zu führen. Nicht in dunklen Stollen liegt dein Schicksal, sondern im hellen Licht der Welt.«
»Aber… aber das kann nicht sein!« Fast verzweifelt klang Erwyns Stimme. »Sicherlich meint Ihr jemand anderen und nicht mich!«
»Hast du es denn nie gespürt? Und hast du nicht schon längst gemerkt, dass du nicht zum Bergmann taugst, so sehr du dich auch abmühst? Das Leben hält mehr für dich bereit als die Enge dieser Mauern, Dochandar. Hattest du denn niemals das Gefühl, dass sich in deinem Leben etwas ereignen wird, etwas Großes, Bedeutsames, von dem du selbst ein Teil sein wirst?«
Der Junge schaute den Druiden zweifelnd an. Es stimmte, er hatte diese seltsamen Ahnungen, seit er zurückdenken konnte. Allerdings hatte er niemandem je davon erzählt, aus Furcht, die Zwerge damit zu kränken. Denn hinter ihren struppigen Bärten und faltigen Gesichtern verbargen sich empfindsame Seelen, und das Letzte, was Erwyn gewollte, war es, seinen Ziehvater Urys zu verletzen. Nun jedoch schien die Zeit gekommen, zumindest sich selbst gegenüber die Wahrheit einzugestehen…
»Ja«, sagte der Junge leise. »Es ist wahr, Meister Yvolar, ich habe es gespürt. Und ich hatte… seltsame Träume. Visionen von einer blutigen Schlacht. Und von einer Kreatur, die in dunkler Tiefe lauert.«
»Hm«, machte Yvolar nur.
»Was hat das zu bedeuten?«
»Nicht mehr und nicht weniger, als dass du derjenige bist, auf dem unser aller Hoffnung ruht.«
»Unser aller Hoffnung?«, wiederholte Erwyn und schaute den Druiden an. »Was bedeutet das, Meister Yvolar? Ich verstehe nicht…«
»Für den Augenblick genügt es, wenn du dir deiner Herkunft bewusst wirst – und der Verantwortung, die damit verbunden ist.«
»Verantwortung? Ich?« Erschrocken wich Erwyn zurück. »Aber ich bin noch ein Junge, Meister Yvolar! Und mein Vater Urys pflegt zu sagen, er würde mir nicht mal einen Felsbrocken anvertrauen, weil ich meinen Kopf stets nur in den Wolken habe.«
»Die Bestimmung fragt nicht nach solchen Dingen«, konterte der Druide lächelnd. Er trat auf den Jungen zu und legte ihm tröstend die Hand auf die Schulter. »Auch mir wäre es lieber gewesen, es wären noch ein paar Jahre vergangen, sodass du groß und stark genug gewesen wärst, dem Bösen aus eigener Kraft die Stirn zu bieten.«
»Dem Bösen die Stirn bieten?« Erwyn schüttelte den Kopf. »Wie könnte ich das? Ich bin kein Krieger, Meister Yvolar. Ich vermag die Laute zu schlagen, aber ich beherrsche weder den Umgang mit der Axt noch mit Pfeil und Bogen.«
»Darum sorge dich nicht, mein Junge. Gute Freunde werden dir zur Seite stehen, die beides wohl beherrschen – so wie Alphart Wildfänger, der großen Mut hat und ein noch größeres Herz, auch wenn er es selbst nicht wahrhaben will.«
»Warum braucht Ihr dann mich?«
»Weil die Kreaturen der Dunkelheit zu zahlreich sind, als dass die Pfeile Sterblicher sie alle niederstrecken könnten – und weil sich unser Feind uralter zerstörerischer Kräfte bedient.«
»Wer… wer ist dieser Feind?«
»Ich spreche von Muortis, dem Herrn der Nebel und des Eises«, sagte der Druide unheilvoll. »All die
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