Land der Mythen 01 - Unter dem Erlmond
unsicheres Lächeln huschte um die Züge des Jungen. »Das ist ein Scherz, oder?«
»Sehe ich aus, als würde ich scherzen?«
»Meister Yvolar, ich kann keinen Drachen zähmen!«, rief Erwyn verzweifelt. »Nicht einmal die kleinen Zwerge gehorchen mir. Und überhaupt, es gibt keine Drachen mehr und…«
»Die meisten von ihnen sind nicht mehr«, räumte der Druide ein, »aber einer von ihnen – Fyrnack – ist noch am Leben. Einst war er der Größte und Wildeste unter den Feuerdrachen und ihr Anführer. Er kann uns helfen, Muortis’ Eis zu bekämpfen – jedoch wird er nur einem Spross vom Blute Ventars folgen. Dir, mein Junge.«
»Mir?« Erneut schaute Erwyn den Druiden aus großen, ungläubig blickenden Augen an. »Selbst wenn es so wäre – wie soll ein einziger Drache Muortis’ Heer besiegen? Das verstehe ich nicht, Meister Yvolar.«
»Umso mehr musst du mir vertrauen, Junge«, sagte der Druide beschwörend. »Aus sicherer Quelle wissen wir, dass der Letzte der Eisdrachen in Muortis’ Diensten steht und das Grundmeer mit eisigem Atem erstarren lässt. Nur ein Feuerdrache kann ihn besiegen. Indem Feuer und Eis aufeinandertreffen und sich ihre Kräfte gegenseitig aufheben, wird das Gleichgewicht wiederhergestellt. Aber nur du kannst Fyrnack dazu bringen, noch einmal für die Welt der Sterblichen in die Schlacht zu ziehen.«
»Er… er wird mir nicht zuhören«, wandte Erwyn ein. »Niemand hört mir richtig zu. Nicht mal dann, wenn ich singe.«
»Er wird dir zuhören«, war Yvolar überzeugt, »denn du bist Dánaons Erbe, der Letzte, der noch am Leben ist. Nur du kannst uns alle retten.«
»Und wenn ich das nicht schaffe?«, fragte Erwyn leise. Die Angst vor der Antwort war seinen blassen Zügen deutlich anzusehen.
»Dann, mein Junge, wird eine neue Eiszeit über die Welt hereinbrechen. Zwerge und Menschen werden untergehen, und der Herr des Nebels wird zurückkehren, um seine Schreckensherrschaft zu errichten. Trolle und Erle werden seine Untertanen sein, und die Welt wird in Finsternis versinken.«
»Meister Yvolar, kann nicht ein anderer diese schwere Aufgabe übernehmen? Jemand, der ihrer würdiger ist als ich?«, fragte Erwyn fast flehend. »Ich bin doch nur ein Junge. Alles, was ich will, ist meine Laute spielen und dazu singen.«
»Auch ich wünschte, das Schicksal hätte dir nicht eine solche Bürde auf deine jungen Schultern geladen, Erwyn«, beschied ihm Yvolar. »Aber es liegt nicht in meiner Macht, dies zu ändern. Ich weiß nur, dass wir handeln müssen, oder die Welt wird untergehen. Ein Krieg steht bevor, wie die Berge ihn seit Menschenaltern nicht gesehen haben. Licht trifft auf Finsternis, Feuer auf Eis – und der Ausgang ist ungewiss…«
34
In jener Nacht tat Alphart kaum ein Auge zu. Zum einen fühlte sich der Jäger, der den freien Himmel über sich gewohnt war, reichlich unwohl in den Stollen und Höhlen der Zwerge; zum anderen ging ihm nicht aus dem Kopf, was er gesehen und gehört hatte. Sobald er die Augen schloss, tauchte das Bild des Eisdrachen vor ihm auf, der mit kaltem Pesthauch das Grundmeer vergiftete. Vieles, das Alphart bis dahin nicht verstanden oder nicht in einen größeren Zusammenhang hatte bringen können, ergab plötzlich einen Sinn: Der frühe Wintereinbruch, der Schnee in den Tälern, die geheimnisvollen Vorzeichen – und die Erle…
Widerstrebend musste sich der Wildfänger eingestehen, dass Yvolar wohl kein Scharlatan war, wie er anfangs vermutet hatte. Der alte Mann sprach die Wahrheit, das hatte er inzwischen zur Genüge unter Beweis gestellt. Es stimmte also, was der Druide sagte – dass eine neue Eiszeit bevorstand und dass die Mächte des Bösen ihr Heer zum Sturm auf die Welt der Menschen rüsteten.
In der kurzen Zeit, die seit dem Tod seines Bruders vergangen war, hatte sich Alpharts Welt grundsätzlich verändert, und nichts war mehr wie zuvor. Der Jäger, der ein raues, aber einfaches Leben gewohnt war, hatte Schwierigkeiten, sich damit zurechtzufinden. Ausgerechnet er, der nie an übernatürliche Dinge geglaubt hatte, fand sich in einer Welt wieder, in der es Erle, Gnomen und Eisdrachen gab und in der das Schicksal der Sterblichen an einem seidenen Faden hing.
Wie, bei allen Gipfeln, hatte es dazu nur kommen können? Warum hatte sein Bruder sterben müssen? Was steckte hinter all dem? Hatte der Druide recht, wenn er von der Kraft des Schicksals sprach und von der Macht der Bestimmung?
So lange er auch wachte und sich
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