Land der Mythen 01 - Unter dem Erlmond
Jahrhunderte hat er geruht und seine Wunden geleckt, doch nun rüstet er erneut zum Sturm auf die Welt, und wie vor Zeiten droht er alles Leben auszulöschen. Ventars Söhne haben Allagáin verlassen, deshalb glaubt er, leichtes Spiel zu haben. Er weiß nichts von deiner Existenz. Deshalb bist du unsere größte Hoffnung, es mag dir gefallen oder nicht.«
Erwyn schluckte. Er kannte die Geschichte des Krieges, und natürlich wusste er, wer Muortis war, auch wenn die wenigen Zwergenkämpfer, welche die Entscheidungsschlacht am Korin Nifol überlebt hatten, nicht gern über das sprachen, was sich an den Hängen des Berges zugetragen hatte. Wenn sie es dennoch einmal taten, so berichteten sie von Riesen und Trollen, von blutrünstigen Erlen, die der Herr des Eises ins Feld geführt hatte. Nur mit knapper Not und unter hohem Blutzoll, so hieß es, hätte das vereinte Heer der Sylfen und Zwerge den finsteren Feind damals besiegt.
Und nun sollte Muortis zurückgekehrt sein?
»Wenn es so ist, wie Ihr sagt«, wandte der Junge hilflos ein, »warum wissen wir in Glondwarac dann nichts davon?«
»Weil Glondwarac außerhalb der Zeit der Sterblichen liegt. Was sich in den letzten Tagen in der Welt zutrug, liegt für euch nur wenige Herzschläge zurück.«
»Und warum hat man mir nie gesagt, wer ich bin?«
»Um dich zu schützen«, gab Yvolar zur Antwort, »sowohl vor den Mächten, die deinen Tod wollen, als auch vor dir selbst.«
»Mächte, die meinen Tod wollen?« Erwyns ohnehin schon bleiche Züge wurden noch blasser.
»Gewiss – oder glaubst du, du wärst noch am Leben, wenn Muortis wüsste, dass Danaón einen Nachfahren hat?« Der Druide sah, welch niederschmetternde Wirkung seine Worte auf den Jungen hatten, deshalb ließ er seine Stimme weich und freundlich klingen, als er fortfuhr. »Ich weiß, wie schwer es für dich sein muss, das zu erfahren. Gern hätte ich mir mehr Zeit genommen, um dir all dies nur allmählich zu eröffnen und dich auf deine Aufgabe vorzubereiten. Aber das Böse ist bereits auf dem Vormarsch, und es bedarf besonderer Fähigkeiten, es zu überwinden.«
Erwyn schaute auf, sein Blick war ratlos. »Und Ihr glaubt, dass ausgerechnet ich diese Fähigkeiten habe?«
»Sonst wäre ich nicht hier. Sylfenblut fließt durch deine Adern. Alles, was du tun musst, ist deiner Bestimmung zu folgen.«
Erwyn schüttelte erneut das Haupt. Er machte einen nahezu verzweifelten Eindruck. »Und wohin führt sie mich?«
»An finstere Orte, die zu betreten dir viel Mut abverlangen wird. Aber wenn dir gelingt, was ich erhoffe, so wirst du uns alle vor dem Bösen bewahren.«
Erwyn lachte gequält auf. Längst hatte er sich damit abgefunden, dass ihm die Zwerge seines Alters, obschon sie ihm kaum bis zur Hüfte reichten, an Körperkraft, Ausdauer und Geschick weit überlegen waren. Und nun sollte ausgerechnet er ein Abkömmling Danaóns sein, des legendären Helden?
Das passte nicht zusammen…
»Du zweifelst an dir«, deutete Yvolar den bekümmerten Ausdruck im Gesicht des Jungen. Mahnend hob er den Zeigefinger der linken Hand, doch seine Worte klangen weiterhin sanft und milde. »Wenn du zweifelst, wird Muortis triumphieren. Denn wie sollen andere an dich glauben, wenn du es nicht mal selbst zuwege bringst?«
»Aber ich bin doch nur ein Junge…«
»Du bist ein Sohn Ventars«, widersprach Yvolar und legte Erwyn die Hand auf die Schulter. »Je eher du dies akzeptierst, desto besser ist es – nicht nur für dich, sondern für uns alle.«
Erwyn holte tief Luft, um erneut zu widersprechen – aber er tat es nicht. Sollte es wirklich wahr sein? Sollte der Druide recht haben mit dem, was er sagte? Erwyn hatte oft darüber gerätselt, warum er als Mensch bei den Zwergen lebte, warum man ihm nicht gestattete, Glondwarac zu verlassen, und warum er all diese seltsamen Träume und Ahnungen hatte. Sollte dies die Antwort sein auf all die Fragen, die er sich insgeheim immer gestellt hatte – dass Sylfenblut in seinen Adern floss?
Dem Jungen plagten noch immer Zweifel, aber je länger er darüber nachdachte, desto mehr begannen sich die Dinge zusammenzufügen und Sinn zu ergeben, wenn auch auf erschreckende Weise.
»Was erwartet man von mir?«, wollte er schließlich wissen. Er stellte die Frage leise, fast flüsternd. »Was muss ich tun?«
»Nun sprichst du wie ein Spross von Vanis’ Stamm«, entgegnete Yvolar stolz. »Ich werde dir sagen, was von dir verlangt wird, Dochandar: Du sollst einen Drachen zähmen!«
Ein
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